laut.de-Kritik
Ein (gar nicht mal so) stummer Schrei nach ...
Review von Dani Fromm"Da haste dich gefreut, ja?", durchkreuzt Baba Saad seinen Titel- und Eröffnungstrack, noch ehe man so recht Zeit hatte, sich über dessen Melodieseligkeit zu wundern. "Dachtest, ich hab' irgend so ein Schwuchtelalbum gemacht, oder?" Nö, eigentlich nicht. Gab ja im Vorfeld genug Getöse, das absehen ließ, wohin die angeblich finale Reise gehen soll: am liebsten innerhalb einer Woche auf die Schwarze Liste. Dann hätte man die eigene Gefährlichkeit auch diesmal wieder mit amtlichem Prüfsiegel zertifiziert bekommen. "Das ist Index-Rap." Alles klar.
Entsprechend zieht Saad von Beginn an alle Provokationsregister und stopft schon die ersten zweieinhalb Minuten mit einer solchen Flut politischer und zwischenmenschlicher Incorrectness, dass einen die knallhart kalkulierte Absicht dahinter ganz unverhohlen angrinst: Irgendeine geschmähte Schwuchtel, eine behinderte Bitch, eine Nutte oder einer der Hurensöhne, denen Saad mit Vergasung droht, wird schon darauf anspringen. Die Frauenrechtlerinnen hat das sexistische, gewalttätige Video zu "Jamila (Das Finale)" schließlich auch schon auf den Plan gerufen wie bestellt.
Saad lädt geradezu dazu ein, sich über seine Wortwahl und seine Thematik zu empören. Angesichts des Ausmaßes der Verzweiflung, mit dem er um Aufmerksamkeit buhlt, möchte man ihm diesen Gefallen schon beinahe tun. Vielleicht hätte ich mich (zumal es sich, so Saad sein Versprechen denn hält, um das letzte Soloalbum seiner Karriere handeln soll) sogar ein Stück weit aus der Reserve locken lassen, kredenzte er seine aufgesetzten Schimpftiraden nicht so langweilig, unoriginell und dermaßen grenzenlos humorbefreit, dass man eigentlich schon nach dem ersten Track den Kanal gediegen voll hat.
"Komm, ich zeig' dir, was dahinter steckt": offenbar nicht viel mehr als die altvertrauten Weisen vom harten Max, der gar garstig plättet, was auch immer ihm gerade in die Quere kommt oder ihn auch nur schräg von der Seite anschaut. "Machs wie Baba Saad, wenn du Kohle siehst", rät Saad in "Manchmal Pt. II". "Zieh' das Kokain. Spür' das Dopamin." Klar, die Dealer, die ihre eigene Ware durch die Nase ziehen, machen ja bekanntlich die allerertragreichsten Geschäfte.
Wer in Saads Texten nach halbwegs schlüssiger Argumentation sucht, ist aber ohnehin nicht zu retten. Seine Geschichten - so man davon überhaupt sprechen kann - starren vor logischen Brüchen. "Checkt ihr das nie? Ich werd' im Traum nicht verlieren", tönt es aus "Yayo Pt. II" - nachdem der, der von sich behauptet, die Polizei gewieft an der Nase herum zu führen, trotzdem einkassiert wird, weil er offenbar den Falschen geschmiert hat. Bravo. So zeigt man es den Bullen. Aber richtig!
"Saad B C" wendet sich an diejenigen Fans, die noch die Schulbank drücken. Gute Wahl, dort dürfte Saad den Großteil seiner Anhängerschaft tatsächlich korrekt verorten. Den Eleven empfiehlt er einerseits, die Schule lieber durchzuziehen. Der Gangster von Welt muss schließlich rechnen können. Andererseits feiert Saad - der immerhin gelernt hat, H-A-L-U-N-K-E zu buchstabieren - sein eigenes Schulversagertum, stachelt zur Respektlosigkeit gegenüber dem Lehrkörper auf, denn: "Lehrer haben Angst, wenn sie einen Gangster sehen." Im nächsten Atemzug: "Ich bin euer Lehrer." Äh, ja.
Ähnlich inkonsequent: die Vertrau-auf-dich-selbst-Hymne "Wenn Du Ihnen Glaubst". Wenn du ihnen glaubst, dann passiert zwar genau das, was sie prophezeit haben. Daraus konstruiert Saad aber dennoch irgendwie die Erkenntnis, sich bloß nix einreden zu lassen und immer schön seinen eigenen Stiefel zu machen. "Sei ein Mann und nimm die Fehler in Kauf, denn es ist aus, wenn du ihnen glaubst." Dafuq?
Is' ja im Grunde auch egal. "Worte Sind Nur Luft". Der Gastbeitrag von Kontra K setzt hier einen hochwillkommenen Kontrapunkt. Im Vergleich zu Saads einigermaßen eintönigem Vortrag wirken seine ebenfalls ziemlich grimmigen Zeilen schon beinahe wie Gesang, mindestens aber wie amtliches Toasting. Auch der zweite Besucher bringt dringend nötige Abwechslung ins Spiel: Das Blokkmonsta peppt mit seinem überzeichneten Adrenalin-Rap und wenigstens der einen oder anderen kreativen Idee das Folterszenario in "Menschen Quälen" ein bisschen auf.
Zwischen selbiges und "Kreditkartenfresse" - wer wissen möchte, worum es darin geht, schläue sich zum Thema Glasgow Smile oder lese Victor Hugos "Der Lachende Mann" - packt Saad "Womit Hab Ich Das Verdient Pt. II". Besagte Nummer reißt zumindest oberflächlich das schwierige Thema Krieg und Vertreibung an, das Saad, dessen Familie aus dem Libanon stammt, aus eigenem Erleben kennt. Ich möchte ihm die Betroffenheit also keineswegs absprechen.
"Mein Volk ist am Sterben. Meine Landsleute halten aus, gefoltert zu werden." Solche Zeilen unmittelbar hinter einen Track zu setzen, in dem genüsslichst ein Opfer um den Verstand gequält wird, und dem dann eine Nummer folgen zu lassen, die eine weitere Foltermethode als Mittel der Wahl im zwischenmenschlichen Umgang preist, liefert einen himmelschreienden Beweis für wahrhaft bemerkenswerte Absenz jeglichen Fingerspitzengefühls.
"Es wurde schon zu viel gestorben", eine Zeile, die man an jeder anderen Stelle bedenkenlos unterschreiben möchte, mutet in einem waffenstarrenden Kontext, in dem Saad ununterbrochen dafür wirbt, Konflikte mit dem Messer, der Knarre, der Faust oder dem Benzinkanister zu lösen, vollkommen pervers an. "Wieso wird immer noch geschossen in Beirut?" Ja, wieso nur? Weil miteinander reden und wenigstens rudimentär respektvoller Umgang mit Meinungen, die von der eigenen abweichen, offenbar komplett aus der Mode gekommen sind.
Um noch ein bisschen verdienten Respekt zu zollen: Die Produktion von "Das Leben Ist Saadcore" fällt weitgehend makellos aus. Vielleicht ein paar viele körperlose Ooooh-Uuuh-Gesänge im Hintergrund, für meinen persönlichen Geschmack. Es müsste meinetwegen auch nicht auf jeder dramatischen Straßenrapplatte der obligatorische Gewitterregen niedergehen. Die Beats gestalten sich aber trotzdem mächtig. Bässe pumpen, wie es sich gehört, im Verbund mit flackernden Elektrosounds oder Breitwandsynthies. Spieldosen-Klingeling, bei Bedarf auch eine Akustikgitarre oder orientalisch anmutende Harmonien, setzen Farbtupfer in den durchwegs dunklen Grundton.
Zum Schluss wird es noch einmal besinnlich: Saad stellt sich im "Nachtgespräch" seinen Fans und Followern, bei denen er sich, wie es sich am Karriereende gehört, zunächst artig bedankt, ehe er um Antworten auf die gestellten Fragen ringt, sehr höflich und ausgesprochen bemüht. So bleibt am Ende ein ganz anderer Eindruck als der, den "Das Leben Ist Saadcore" zuvor mit aller Kraft zu vermitteln versuchte: Im Grunde ist dieser Baba Saad bestimmt ein total Netter, und seine Gewalt wohl doch nur ein (gar nicht mal so) stummer Schrei nach ... lassen wir das!
9 Kommentare mit 11 Antworten
Hab jetzt mal "Jamila" geschaut. Was für ne Kackscheiße.
Bei nem Saad Album auf der Suche nach Logik. Wo ist der Fehler?
Im Review ganz gekonnt den krassen Disstrack gegen laut.de "Ich will euch brennen sehen" ignoriert.. Peinlich!
Zum Album : Wieso muss Rap immer logisch sein? Natürlich ist es Phrasengedresche ohne viel Logik. Aber genau das will ich hören.
Peinlich? Wieso sollte man auf so eine langweilige Scheiße noch explizit eingehen? Sogar Fler disst im Gegensatz dazu wie Cyrano de Bergerac
http://www.laut.de/News/Doubletime-Wer-hat…
Bitte sehr
Hat der seine Alben echt "Das Leben ist Saad", "Saadcore" und "Das Leben ist Saadcore" genannt und das einzige dazwischen "S doppel A D" ?
Sagt für einen Rapper eigentlich schon alles, was ne Lusche.
deine meinung als genrefremder interessiert hier nicht. die beiden ersten alben sind unabstreitbare klassiker!
Keine Ahnung, warum der als Opfer bezeichnet wird. Gute Raptechnik und Feature mit Blokk sagt alles.
@Dani Fromm:
Sehr schön geschrieben, TOP! Kann ich dein Praktikant werden?
haha, seh ich ja jetzt erst.
gut möglich. immer her mit den bewerbungsunterlagen.