laut.de-Kritik
Vollendete Symbiose der unterschiedlichsten Stilmittel.
Review von David HilzendegenIch gebe zu, ich bin einer von denen, die im Kino schon aus Prinzip immer sitzen bleiben, um die Namen aller Beteiligten zu lesen. Was ich mir bisher nicht eingestehen konnte oder wollte: die meisten Namen prägen sich ohnehin nicht länger als fünf Minuten ein – wenn überhaupt. Das rächt sich jetzt, oder wie kann es sonst sein, dass mir der Name Gustavo Santaolalla bisher überhaupt kein Begriff war?
Für alle, denen es ähnlich geht: Der Mann ist weiß Gott kein unbeschriebenes Blatt. Zwei Oscars für die Filmmusik von "Babel" und "Brokeback Mountain" und eine Auszeichnung der British Academy of Film and Television Arts für "Die Reisen Des Jungen Che" sprechen für sich. Neben dem Grammy, dem Golden Globe und den neun (!) Latin Grammys, einen unter anderem für den besten Produzenten 2005, dürfte es auf dem Kaminsims langsam eng werden.
Im Vorfeld der neuerlichen Veröffentlichung strich die Band den Namenszusatz Tango Club, weil sich das achtköpfige Kollektiv um Mastermind Santaolalla daran störte, dass ihre Musik von allen Kritikern der Welt als "Electronica-Tango" bezeichnet wurde. Vielmehr würden sie eine Mischung spielen, die "zeitgenössische Klänge aus Städten wie Buenos Aires und Montevideo" verbindet. Und genau das ist es, was die Platte ausmacht: Sonne, Tanzen, Heiterkeit, aber auch und vor allem Tango.
Das macht so viel Spaß, ich möchte dem uruguayischen Gast Juan Subira noch mehr Schnaps reichen, obwohl sich seine Stimme anhört, als bräuchte er dringend einen Schluck Wasser. Ich möchte, dass mir Mala Rodriguez mehr über spanischen Rap beibringt, obwohl ich kein Wort verstehe. Und ich möchte mich spätestens bei "Infiltrado" gänzlich und kompromisslos dem wohligen Gefühl unter der Bauchdecke hingeben. So fühlt es sich also an, wenn der Groove die Magenwand massiert.
Allerdings möchte ich Elvis Costello auch in den Hintern treten, diesen großartigen Reigen erstklassiger Stücke mit einer Schlafanzugnummer wie "Fairly Right" zu unterbrechen. Ähnliches gilt für Nelly Furtado, die zwar mehr Drive aufweist als Costello, deren Feature jedoch ebenso hinter den südamerikanischen Kollegen zurücksteckt. Bekanntlich kann man leider nicht alles haben, und wenn die beiden prominenten Gäste die Verkaufszahlen der Platte steigern, so seien sie hiermit akzeptiert und geduldet.
Das größte Tennis spielt ohnehin ein Gast aus - was liegt näher? - Japan. Die Verbindung aus Ryota Komatsus Bandoneon und dem dröhnenden Synthie vor dem obligatorischen Tango-Sound in "Pa' Bailar" ist die vollendete Symbiose aus den unterschiedlichsten Stilmitteln.
Freilich trifft die Marke "Electronica-Tango" vor diesem Hintergrund nicht hundertprozentig ins Schwarze, aber wen bitte schön interessieren solche Genre-Einteilungen eigentlich? Wieso denn nur eine Schublade öffnen, Bajofondo bieten sie schließlich alle an.
5 Kommentare
"BajofondoTangoClub" war sehr schön ... und "Mar Dulce" wurde nach der mittlerweile dritten uneingeschränkt positiven Meinung aus vertrauenswürdiger Quelle eben bestellt.
Gerade nochmal die alte eingeworfen. "Perfume" ist schon ein ziemlich grosser Hit.
Seh ich das richtig, dass das Albumcover den Schritt einer Frau als Drahtgittermodell darstellt?
Drahtgittermodell?
das Cover des Vorgängers dürfte aufschlussreich wirken:
http://ecx.images-amazon.com/images/I/51ka…
ich finde die platte auch klasse
Pa' Bailar und Borges Y Paraguay sind dermassen gut, beide perfekt.
Allerdings sind die Features von Costello und Furtado wirklich sehr verzichtbar.