laut.de-Kritik

Kontemplatives Geschichten-Album mit bunt schillernden Unikaten.

Review von

Der großartige Powerpop-Pianist Ben Folds mit der Hipster-Brille hat sich ausgesprochen lange zurück gehalten. Fast elf Jahre sind verstrichen, dazwischen gab's mal ein Album mit Kammermusik, vereint mit Rob Moose und yMusic, Bruce Hornsbys heutigen Lieblings-Arbeitspartnern. Jene Nischen-Platte liegt weit zurück in einer Zeit vor Stories, Snaps und Reels.

Der ephemeren Hastigkeit unserer Zeit stellt Folds nun sein langsamstes Storyteller-Werk entgegen: "What Matters Most", eine Betrachtung der wirklich wichtigen Dinge, auf die es im Leben ankommt. Ein inniges, zartes Teil, nah am französischen Chanson. Beim genauen Hingucken frappiert ein witziges Artwork, einer, der aufrecht im Himmel schwebt, zeigt einem anderen, der auf einer Wolke steht, irgendwas in der Ferne. Hey, auf sowas muss man erst mal kommen.

Auf diesem 'Comeback' klimpert Ben die wunderschön andächtige, zart pinselnde Ballade "Fragile" - Wehmut pur, in bezaubernde Harmonien gekleidet! Vom Ausflug mit dem Kammerorchester hat er sich etwas bewahrt, rückt mit Cello und Bratsche an. Am Klavier tobt sich Folds in einer Erinnerung ans Jahr 1980 aus. Damals gab's bei ihm in der siebten Klasse eine Kristine mit K, "Kristine From The 7th Grade". Sie hatten es gut damals, "we went to a good school, Kristine". Anmutig führt Folds nach ausgedehntem Instrumental-Intro durch mehrere Gefühlslagen. Da ist erst mal nur das blanke Auftreten jener Kristine, ihre überraschende Erscheinung. Und dann mischen sich ihre Sichtweisen mit hinein. Die Story kippt, als aus Freunden Fremde werden. Eine äußere schöne Hülle füllt sich mit innerer Trübsal. Das musikalische Arrangement ließe sich gut zu einem artsy Film vorzugsweise des französischen Kinos vorstellen.

In "Back To Anonymous" rückt Folds an die langkettigen Freuden am Erzählen, Weiter- und Weitererzählen und (stellenweise) Einlullen von Al Stewart heran, stilecht in den rhythmischen Synkopen, der weichen Stimme und dem Piano als leitendem Instrument. Manchmal ertappt man sich beim Hören aber im Abdriften, wenn Folds die pushende Stringenz mancher früherer Alben missen lässt.

Die Tracks zeigen den Künstler bei aller einenden Beschaulichkeit und Kontemplation von recht verschiedenen Seiten. Ein wahnsinnig toller Abschnitt erklingt im Titellied. "What Matters Most", noch mal ein Song über Freundschaft, verblüfft mit trittfester Heiserkeit, die Richtung Falsett geht. Der Song-Guru krallt sich im Schleudergriff in die Piano-Tasten und knetet das Klavier wie Teig. Der Text schreit sofort plakativ 'hier bin ich'. Denn trickreich umgeht Folds den allzu naheliegenden Reim von "days" auf "haze" und belässt es bei einem Tag: "I could not see the haze / back in the day / when we lived inside of it. Zwischendrin zündet mal ein Fusion-Kunstgriff nach Art von Steely Dan oder eine fette Schlagzeug-Percussion-Cello-Dreifaltigkeit.

Die Einzelteile sind jeweils alle kleine Diamanten, eine runde LP ist diese breit gespreizte Song-Sammlung trotzdem nicht, und mir kommen ein bisschen die Groove-Kompetenz und das Stürmische des Künstlers zu kurz. Für sonstige Kritik bietet das Album jedoch keinen Anhaltspunkt. Es ist einfach schön, liebevoll gemacht, eingängig, fluffig, sensibel, klar und brillant im Sound.

Der Artpop-Folk "Moments", das hymnische Britpop-Porträt eines Betreutes-Wohnen-Komplexes namens "Winslow Gardens" (in New York), der schräge Song-Knallbonbon "Exhausting Lover", das in Sehnsucht und Summ-Summ-Vocals zerfließende Juwel "Clouds With Ellipses" über Wolken, die erst eine ovale Form haben, dann wieder verschwinden, der melodramatische Seeausflug "Paddleboat" und die dissonante Psychedelic-Tonstudie "But Wait, There's More" lassen nur noch wenig an Wünschen offen. Die Scheibe versammelt lauter bildhübsche Unikate.

Trackliste

  1. 1. But Wait, There's More
  2. 2. Clouds With Ellipses
  3. 3. Exhausting Lover
  4. 4. Fragile
  5. 5. Kristine From The 7th Grade
  6. 6. Back To Anonymous
  7. 7. Winslow Gardens
  8. 8. Paddleboat
  9. 9. What Matters Most
  10. 10. Moments

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