laut.de-Kritik
Vom Anspruch, der Julian Casablancas Frankreichs zu sein.
Review von Philipp KauseBenjamin Biolay entwirft für all seine Alben monothematische Konzepte. Dieses Mal umspannt das Thema 'Formel 1' den Songzyklus des Franzosen. Nachdem er vor 20 Jahren seinen Beitrag zur neuen Chanson-Welle leistete und auf die 60er referierte, hat sich das Spektrum längst erweitert. Der eigene Anspruch auf "Grand Prix": als frankophoner Julian Casablancas aufzutrumpfen.
Nun sind seine Keyboards und E-Gitarren in vielen Fällen eher ein Gerüst, um die Stimme sicher über die Ziellinie zu bringen, mit Sicherheit aber nicht die Verkörperung des Trotzes wie bei The Strokes, und in "Vendredi 12" überwiegt Gainsbourg'sches Raunen vor einem Geigen-Klangteppich. Biolay meidet dazu jedes englische Wort.
Auf dem abwechslungsreichen Album verbergen sich trotzdem kurze Momente mit Garage-Rock-Bezug. Die Dosis bleibt aber minimal. Besonders "Idéogrammes" brilliert mit dem Rückbezug auf staubtrockenen Lärm, kontrastiert aber auch diesen mit Geigen, die sogar noch mehr Raum einnehmen als bei den anderen Songs.
Im kurzen "Virtual Safety Car" verliert sich die zweite Hälfte so mitreißend in hypnotischer Straightness, dass auch glaubhaft wird, dass eine von Biolays Lieblingsgruppen Television heißt. Am Ende des Stücks fällt kaum auf, dass es gar keinen richtigen Text hatte - außer eine in Dauerschleife wiederholte Zeile samt Megaphoneffekt.
Das Thema 'Formel 1' assoziiert man zwar mit den vielen Auto- und Verkehrsmetaphern in den Songtiteln: "Virtual Safety Car", "La Roue Tourne", "Grand Prix", "Comme Une Voiture Volée", "Ma Route" - doch nur "Grand Prix" handelt vom Motorsport. Die anderen Tracks sind teils Liebeslieder, teils Beschreibungen eines Lebensgefühls im Stile von Beat-Popliteraten. "Ma Route" huldigt sinnlich dem Reisen und den Jahreszeiten, "Où Est Passée La Tendresse?" und das melancholische "La Roue Tourne" befassen sich in verstörender Weise mit der Endlichkeit des Daseins, "Souviens-toi l'Été Dernier" mit der Vergänglichkeit der Liebe.
So wie die Texte ausschweifen, gestattet sich der Sänger aus dem Südosten Frankreichs den dort kultivierten Luxus der Beschaulichkeit. Lieber genießt er elegisch den Moment, als dass er es wagen würde, den Sound explodieren zu lassen. Biolay ist kein Rocker, kein Punker und auch kein Subversiver. Ansatzweise kann man höchstens dem vom Label bemühten Vergleich mit den Last Shadow Puppets etwas abgewinnen - bei "Visage Pâle. Dieses Stück Art-Pop wirkt sehr stark der Zeit 1966/67 entsprungen. Die markanten Riffs und der bewegte Synth-Beat verleihen dem Song zwar New Wave-Charakter, andererseits zitieren die barocke Melodie und die Keyboard-Harmonien einen New Yorker Stil kurzer Blüte: den Pop von The Left Banke.
In Summe weist die Platte viele Klangfarben, Rhythmen und Instrumentierungen auf, bleibt aber manchmal in abgegriffenen Spät-70er-/Früh-80er-Versatzstücken stecken ("Comme Une Voiture Volée"), die wie Blondie ohne Biss wirken. Manches hört sich auch wie die abgespeckten Tame Impala an ("Grand Prix"). Biolays Songs umgehen die Chansonpop-Süße mit Electro-Drive. Aber am besten hört sich der Franzose eben an, wenn ihm mal ein Schlagzeug zur Seite steht ("Où Est Passée La Tendresse?"). Ein Detail, das man auf manchen Songs einfach vergessen hat.
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