laut.de-Kritik
The National + Bon Iver ergeben etwas ganz Eigenes.
Review von Hannes HußFast zehn Jahre, nachdem Justin Vernon und Aaron Dessner für den Dark Was The Night-Sampler kollaborierten, veröffentlichen sie über ihr Projekt People nun ein gemeinsames Album. Der auf "Dark Was The Night" erschienene Song "Big Red Machine" liefert dafür den Albumtitel.
Als Projekt möchte das Duo dieses Werk auch explizit verstanden wissen - ist es doch in Zusammenarbeit mit anderen Musikern aus dem People-Kollektiv entstanden und eigentlich nicht als reguläre Veröffentlichung gedacht gewesen. Nun, wir können uns glücklich schätzen, dass sie es sich anders überlegt haben.
Man merkt der Platte die lockere, ungezwungene Entstehung an. Sie bricht sich immer wieder selbst, die einzelnen Songs stehen häufig im völligen Kontrast zum jeweiligen Vorgänger und entwickeln sich meistens erst mit der Zeit. Keiner der Titel wirkt wie ein geplantes Konstrukt, sie bauen sich parallel zum Verstreichen der Zeit auf. Nie weiß man, welche Abzweigungen noch folgen werden. Klassische Strophe-Refrain-Bridge-Strukturen werden beiseite gewischt. Meist bleiben die einzigen Konstanten ein durchgehender Beat und die mal mehr, mal weniger verfremdete Stimme Justin Vernons.
"Lyla" ist dafür ein schönes Beispiel: Der Beat ist recht nah am zeitgenössischen Hipster-Hip Hop gebaut. Hinzu kommt ein nervöses Flirren im Hintergrund, die immer wiederkehrenden Zeilen "I'm already off your reservation" trägt ein Chor, der in andere Sphären entführt. In den ersten zwei Minuten könnte der Song sogar noch ein recht klassisch strukturierter Indierock moderner Prägung sein, doch er wird komplett zerschossen, beim sakralen Ausklang übernimmt eine warme Klaviermelodie zum verschwindenden Beat.
Auch "Air Stryp" bleibt nah am Hip Hop, danach folgt einer dieser Brüche im Album. "Hymnostic" beginnt mit großem Klavier und Chören im Hintergrund. Dazu schwingt sich Justin Vernons Stimme immer höher, bis sie wieder verschwindet und nur noch ein Knarzen übrig bleibt.
Eine ruhige Folkgitarre erinnert bei "OMDB" an die ganz frühen The National - mit passend verzweifelten Vocals. Das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass "OMDB" oder auch "Forest Green" zu viele Längen und Redundanzen aufweisen. So kommt dem Album ab seiner Mitte die Spannung abhanden, die in der Folge auch nicht mehr wiederkehrt.
"I Won't Run From It" klingt wie ein fröhlicher Sommer-Folkpop-Song, verhandelt im Text aber die Unsicherheiten in einer Beziehung. Den Rausschmeißer gibt "Melt": Eine verzerrte Gitarre in Kombination mit der stoischen Wiederholung der Zeilen "Well you are who you are" könnte auch der Beginn eines The National-Konzertes sein. Sogar Justin Vernons Stimme klingt nach Matt Berninger. Irgendwie ein Opener, der allerdings am Ende eines Albums steht.
Textlich ist allerdings nicht jeder Song so eindeutig. Big Red Machine steht vielmehr in der Tradition von 22, a million, diesem kryptischen Klotz von 2016, der sich ebenso einer klaren Interpretation zu verweigern suchte. Nur, auf Big Red Machine tauchen immer wieder Fetzen wie "I do it 'cause I'm a family man" oder "Well we better not fuck this up" auf und lassen Rückschlüsse auf eine stringente Thematik zu: Es geht um Familie und Selbstzweifel in einer Beziehung. Also thematisch ganz ähnlich wie bei Sleep Well Beast.
Nur, dass diese Themen hier mit den Mitteln von Bon Ivers Vocoder-Folk ausgeführt werden und nicht mit dem bis in jeden Winkel durchdachten Rotwein-Rock von The National.
Das Wichtigste bleibt aber, dass die Platte eigenständig klingt: "Big Red Machine" löst sich durch seinen experimentellen Charakter von den Hauptbands seiner Mitglieder, um ganz befreit eine organische Verbindung elektronischer Störgeräusche, Klaviermelodien, zeitgenössischen Hip Hop-Beats und der unverwechselbaren Stimme Justin Vernons zu suchen. Manchen Songs gelingt dieser Spagat zwar nicht ganz. Aber selbst dieses Scheitern findet immer noch auf hohem musikalischen Niveau statt.
1 Kommentar
gefällt mir eindeutig wesentlich besser als 22, a million, viel songdienlicher und entzerrter. Kein Meisterwerk aber ein gutes Album allemal. knappe 4/5 sollte drin sein