laut.de-Kritik
Zwanghaft, aufgesetzt und alles andere als inspiriert.
Review von Alexander CordasMiss Extravaganza beehrt uns wieder mit einem Opus Dei - einem Werk Gottes. Wer könnte schon verneinen, dass die kleine Isländerin von der Muse geküsst ist. Die Gute ist ja sehr umtriebig. Filme machen, singen und so und vielleicht demnächst noch einen Lyrikband heraus bringen, der dann zur Weltliteratur zählen würde. Vielleicht muss man das nicht erwarten, aber zuzutrauen wäre es ihr schon. Und mit jedem weiteren Projekt will sie dem vorherigen noch eins obendrauf setzen. War "Debut" noch sehr eingängig, fügte "Post" dem eine Bombastnote hinzu. "Homogenic" wirkte sehr verstörend, nichtsdestotrotz schön wie eine Eisblume am Fenster im tiefen Winter. Und Vespertine? Nun, ... Vespertine, ja, äh, ... Vespertine ist trotz seines ohrenscheinlichen Minimalismus überladen mit Kleinigkeiten. Hier ein Fiep dort ein Rückwärtsloop, über allem kreisend Björks ureigenes Organ, das ab und an drei Schrauben und vier Salti schlägt, um dann ... doch nicht auf den Punkt zu kommen.
Frau Gudmundsdottir begrüßt uns mit einem herrlich falschen "Sru Se Wormsest ...", wie um wieder einmal beweisen zu wollen, dass sie auch nach zig Jahren der richtigen Aussprache des berühmten "th" noch nicht mächtig ist. "Hidden Place" ist sehr vielversprechend und gibt einem das Gefühl, ihr Mitverschwörer beim Pferdestehlen zu sein. "Cocoon" zerstört diese Intimität dann wieder, es weckt Erinnerungen an experimentelle Lyrik-Sendungen nachts um drei im ZDF. Würde sich dort ganz gut neben trommelnden und schreienden Barden machen, quasi als kleiner Übergang, bis dann die meditierende Bauchtanztruppe die Bühne betritt, die nur per Telepathie den Anwesenden ihre Gedichte näherbringt. Alles klar?
Ja, mir auch nicht. Was Björk mit Nicht-Liedern wie "Undo" und "An Echo, A Stain" bezwecken will bleibt im Dunkeln. Ist ja nicht so schlimm, wenn man sich von konservativen Songstrukturen entfernt und versucht, eigene Wege zu gehen. Muss man dann aber immer gleich kilometerweit über allem schweben, den roten Faden des Songs hinter sich her ziehen und diverse Pirouetten drehen? Nicht unbedingt, denn ehe frau es sich versieht, verknotet sich der Faden und gerät zu einem gordischen. Genau in diese Falle ist Björk bei Vespertine getappt.
Zwanghaft, aufgesetzt und alles andere als inspiriert wabern Sounds am Ohr vorbei, die unvereinbar neben exzellenten Songs wie dem erwähnten "Hidden Place", "It's Not Up To You" und "Pagan Poetry" stehen. Weniger wäre auch hier mehr gewesen, was dem Gesamtkunstwerk aber keinen ernsthaften Schaden mehr zufügt. Trotzdem, für Björk-Verhältnisse ist Vespertine eine kleine Enttäuschung und drei Punkte sind fast eine Beleidigung. Schade!
3 Kommentare mit 13 Antworten
Das Album ist großartig. Ich sehe echt nicht wie ein Werk wie dieses als "uninspiriert" bezeichnet werden kann.
finde ich sehr passend zu dem laut review:
http://drownedinsound.com/in_depth/1254995…
sehr schönes album. verzaubert mich immer wieder...
Ich hole diesen Thread wieder hoch, um der Schande dieser Rezension zu gedenken. Eines ihrer besten, wenn nicht ihr bestes Album. Und den Song An Echo, A Stain als "Nichtmusik" zu bezeichnen!!! Der zu ihren eindringlichsten Arbeiten gehört! Wie kann man nur? Schämen Sie sich, Herr Cordas!
Nö
Mal aus Interesse: was ist eigentlich Nichtmusik?
Nun?
Auch ich steige hier Jahre später mal ein. Es ist wirklich interessant, wenn man deutsche Kritiken aus dem Erscheinungsjahr liest (z.B. diese hier und Plattentests), bei denen das Album relativ schlecht weg kommt und heutzutage ist es für viele Fans und Kritiker ein heißer Kandidat für ihr bestes Album.
Ich persönlich schwanke zwischen dem hier und Homogenic, wobei letzteres in der falschen Stimmung etwas anstrengend sein kann und Vespertine in mir immer ein wohliges Gefühl auslöst.
Und btw: das absolut großartige Undo als Nicht-Lied zu bezeichnen - da kann ich nur mit den Kopf schütteln!
Schon mutig sich hier Curb zu nennen, hast du gar keine Angst gewaxt zu werden?
Ich stehe etwas auf den Schlauch. Zuerst dachte ich, du willst irgendwie auf Impfungen hinaus. Eine schnelle Google Suche ergab dann, dass es wohl mit Skaten zu tun hat - kein Plan worauf du hinaus willst.
Mein Name ist auf jeden Fall eine Anspielung auf eine Drei ??? Folge; für die Nerds hier
Das wirst du eines Tages noch verstehen, all good
Ah, ich verstehe. Dann ist das wohl ein Insider hier. Ich lese hier schon länger mit, aber das habe ich noch nicht mitbekommen. Ich wollte auch nicht humorlos erscheinen, hast mich auf dem falschen Fuß erwischt, während ich nur über Björk abnerden wollte.
Die Kritik ist und bleibt ein Schandfleck. Ich bin immer noch sehr wütend deswegen!
Vielleicht wird ja irgendwann nochmal ein Meilenstein draus. Sie hat zwar hier schon einen, aber ein weiterer ist bei ihrer Diskografie schon drin.
Vespertine wäre auf jeden Fall ein verdienter Kandidat. Gleich nach dem JA - Ritual de lo Habiotual, den ich schon seit Jahren einfordere.
Aber schön, hier auch mal dezidierte Björk-Fans zu haben, ma sagen. Willkommen in den Kommentarspalten!
Leicht verspäteter Dank für's Willkommen heißen! Sowohl hier bei laut.de und auch Björk bin ich sehr spät auf den Zug aufgesprungen, aber dann hat man wenigstens viel zu entdecken. Freue mich schon sehr auf die Live DVD Royal Opera House, die ich mir jetzt geordert habe.
Jane's Addiction habe ich tatsächlich bis heute noch nie gehört, aber die Zeit dafür wird auch noch kommen.
"Der FeuerteufeL", grandiose Folge mit dichter Atmosphäre. Wollte ich auch mal darüber schreiben