laut.de-Kritik
Eine Collage aus Tod, Nostalgie und Liebe zur Musik.
Review von Ben SchiwekIn den sechs Jahren seit dem letzten Album war Dev Hynes alias Blood Orange alles andere als untätig: Etliche Künstler:innen wie Mac Miller, A$AP Rocky, Lorde oder Turnstile – Spoiler: zwei der Genannten treten auch auf "Essex Honey" auf – engagierten Hynes als Producer/Songwriter für ihren Alben. Nun ist aber wieder Zeit für eine eigene Platte und die letzten sechs Jahre gaben Hynes genug Input, um die Platte so persönlich wie möglich zu machen.
Zum einen geht es, wie der Titel andeutet, um seine Heimat Essex, um sein Kindheit, Erinnerungen an die Jugend und sogar Referenzen an Musik, die Dev Hynes damals hörte. Zum anderen aber auch um den schmerzlichen Verlust seiner Mutter. Ziemlich gemischte Gefühle also, die sich in einer luftigen, weichen und bruchstückhaften Klangwelt entfalten.
"'Essex Honey' is a soundtrack created from a dreamscape of his journey working through grief", fasst es der Pressetext zusammen. Und die Songs klingen tatsächlich wie in einem Traum: friedlich, vernebelt, aber auch voller abrupter Schnitte in andere Szenen. Viele Songs haben plötzliche Intros oder Outros in Form von konträren, kleinen Songschnipseln oder Cello-Klängen.
Auch abseits davon bleiben die Songstrukturen ziemlich frei und formlos. Diese Beschreibung klingt zwar, als wäre das alles ein bisschen unsortiert und zufällig angelegt, aber es überträgt genau die Wirkung vergangener Erinnerungen und Gefühle, die auf einen einprasseln können.
Die collagenhaft wirkenden Songs sind im Grunde melodische R'n'B-Nummern, deren Arrangements viel Platz für kontrastierende Elemente lassen: mal ein sanfter House-Beat, mal ein organisch klingendes Schlagzeug, mal weiche Synthesizer und E-Gitarren, mal harte Klavierakkorde.
Und zwischendurch immer wieder ein Cello und bekannte Stimmen: Lorde, Caroline Polachek oder Brendan Yates von Turnstile treten auf, allerdings nicht als die große Star-Features. Sie singen teilweise nur ein paar Zeilen aus bereits existierenden Songs anderer Künstler:innen.
Lorde etwa intoniert Elliott Smith, Polachek The Durutti Column. Eva Tolkin zitiert The Replacements. Ein Spiel mit Stimmen und Melodien, die einem irgendwie bekannt vorkommen, und auch eine Ode an die konstante Begleiterin in unserem Leben: Musik.
In einem Instagram-Reel erzählt Hynes, wie ihm diese Bedeutung von Musik wieder in den Sinn kam. In der Zeit nach dem Tod seiner Mutter habe er den Song "Fourth Of July" von Sufjan Stevens gehört und wieder bemerkt, wie tröstend Musik sein kann. Genau diese Wirkung wollte er erzielen.
Auf "Essex Honey" schafft er dies, ohne große, explizite Worte über den Tod und seine Gefühle zu verlieren. "The Last Of England" spricht den tragischen Moment noch am offensten an: "Sitting in the dusk of the room you fell asleep, anyway / Time has made it seem we can talk / But then they took you away". Seine Mutter nennt er nicht direkt, bestätigt es aber durch eine simple und schmerzhafte Zeile wie "My sister understands just how it feels".
Das Album wirkt implizit und subtil. Mit jedem Hören entdeckt man neue Details und Gefühle. Und dieser Vibe überträgt sich direkt. So gleichbleibend sanft und oft auch unübersichtlich viele dieser Songs wirken mögen, hält gerade die Gefühlsebene alle Themen, Erinnerungen und Songskizzen zusammen. Manche Tracks wirken dabei eindrücklicher als andere.
Songs wie "Countryside", "The Field" oder "Mind Loaded" visualisieren Orte klar vor dem inneren Auge. Bei anderen Tracks braucht man hingegen ein paar Anläufe. Mit dem sakralen "I Can Go" entlässt uns Blood Orange nochmal voller Emotion aus dem Album. Ein bisschen so, als würde er in den Himmel aufsteigen oder ihm eine höhere Macht mitteilen: 'Du kannst jetzt dein Leben weiterleben'. Als Hörer:in aber bis an diesen Punkt zu gelangen, kommt einer anstrengenden und verwirrenden Reise gleich.
2 Kommentare
Aufgrund des Features zielt diese Langrille schon überdeutlich Richtung Hardcore
Hat hier jemand Turnstile gesagt?