laut.de-Kritik
Drogen, Alkohol, Liebe und Syphilis.
Review von Giuliano BenassiMoment. Folk? Aus dem Jahr 1972? Bekifft?
Was ist falsch an dieser Kombination? Richtig: das Jahr. Nach kurzem Höhenflug Mitte der 60er Jahre verschwand das Genre von der großen Bühne und wanderte wieder dahin, wo es hingehörte: in die Regale der Aficionados, in Cafés und Kneipen. Kein Wunder also, dass das vorliegende Album unterging wie Blei. Oder, wie Bob Frank in Nachhinein sinniert, direkt vom Pressewerk ins Archiv - beziehungsweise in die Mülltonne.
Wieder entdeckt hat es das Label Light In The Attic, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, Perlen aus der Vergangenheit neu aufzulegen. Immerhin bescherte es uns den großartigen Rodriguez, noch bevor er durch die Oscar-prämierte Dokumentation "Searching For Sugarman" so etwas wie ein internationales Comeback feierte.
Genau das ist dieses Album: eine Perle. Nachdem er sich freiwillig bei der Army gemeldet hatte und in Vietnam gelandet war, heuerte Frank 1968 als Songschreiber an. Mit wenig Erfolg, wie er selbst zugibt. Auf Kommando Stücke für andere zu schreiben, fiel ihm so schwer, dass das Material in einer Schreibtischschublade verstaubte.
Bis auf wenige Ausnahmen. Eine davon trägt den Titel "Wild Bill Jones", das Sänger und Produzent Joe Dickinson 1972 auf seinem Debüt "Dixie Fried" interpretierte. Dickinson war es auch, der Frank überredete, in Nashville ins Studio zu gehen. "Bob ging nach Vietnam und nach Nashville. Ich weiß nicht, was schlimmer für ihn war", erklärte Dickinson später.
In eine dichte Hasch-Wolke gehüllt und mit billigem Alkohol befeuert, zog Frank mit seiner Gitarre durch die Stadt und ließ sich inspirieren. Weniger als Songs kamen dabei Sketche heraus, die von bekifften und betrunken Abenteuern handeln, umgesetzt mit starkem Südstaatenakzent und eher einfacher Gitarrentechnik. Beides jedoch so packend, dass man gar nicht mehr aufhören möchte, ihm zu lauschen.
Der Titel des Openers, "Wino" (was so etwas wie "Penner" bedeutet), beinhaltet eine klare Ansage. Damals lebte Bob Frank unter einfachen Verhältnissen in einem Wohnheim, erinnert er sich. "In der Regel kaufte ich mir eine Flasche Wein, ging in die Stadt und setzte mich hin, um sie zu trinken. Die Gitarre hatte ich immer dabei und im Koffer stets eine Flasche", so Frank in den ausführlichen Notes im Booklet.
Doch zog es ihn auch in die Umgebung. "She Pawned Her Diamonds For Some Gold" (Will bedeuten: "Sie verpfändete ihren Schmuck, weil ich mir Dope kaufen wollte") entstand in einer Kommune in Arkansas, "Cold Canadian Pines", Franks Versuch, zu klingen wie Gordon Lightfoot, in Memphis.
Drogen, Alkohol, Liebe und Syphilis ("Waitsburg") sind jedoch nicht die einzigen Themen. "Judas Iscariot" überrascht mit einer originellen Interpretation des Verrats schlechtin: Judas wettet mit einem Kumpel, einem römischen Legionär, dass Jesus unsterblich sei. Als er dem Heiland davon erzählt, ist dieser gerade auf einer rauschenden Party und versteht nicht, was ihm Judas da gerade sagen will. "Die Wette ging verloren. Kurz danach starb Jesus einen einsamen Tod am Kreuz, Judas fand man am Bach von einen Baum hängend."
Es bleibt noch Zeit für eine Ode an die Müllabfuhr ("Before The Trash Truck Comes"), eine Schwimmunfall mit Todesfolge ("Way Down In Mississippi"), Kneipenbekanntschaften ("Jones And Me", "Return To Skid Row Joe"), eine zärtliche Liebeserklärung ("Laying Around") und zum Schluss eine Nacht im Knast. Nicht wegen des Autos, dass er geklaut und stehen gelassen hatte, weil der Motor hochgegangen war, sondern, weil er besoffen durch die Stadt torkelte, nachdem er zurück getrampt war ("Memphis Jail").
Dass die Platte nicht einschlug wie eine Bombe, verwundert nicht. Frank tat das Seine dazu, als er bei der Pressevorstellung im Max's Kansas City in New York kein einziges der Stücke spielte und ungehalten reagierte, als er dazu aufgefordert wurde. "Wenn jemand die Songs vom Album hören will, schick' ihn das verdammte Album kaufen", schleuderte er zurück.
Frank zog sich aus dem Musikbusiness zurück, heuerte als Bewässerungsplaner im kalifornischen Oakland an und kümmerte sich um seine Familie. Wie auch Rodriguez fand er erst Jahrzehnte später im Internet heraus, dass sein Debütalbum Kultstatus erreicht hatte und die wenigen Exemplare für über 100 Dollar gehandelt wurden. 2002 vertonte er ein englisches Gedicht aus dem 13. Jahrhundert, weitere Platten auf Kleinstlabeln folgten.
"Ich habe keine Ahnung, wie man mit Musik Geld verdient. Ich habe es auch nie. Was dieses Album so wertvoll macht, ist der Umstand, dass es alles sagt. Mehr gibt es über diesen Vogel nicht zu berichten", erklärt Frank. Ein Leben, in zwölf Songs und 28 spannende Minuten gepackt.
1 Kommentar
sehr schönes Album