laut.de-Kritik
Zeitloser Alternative mit brandaktueller Message.
Review von Christian KollaschDie Sonne verdunkelt sich. 2019 zelebrierte Bob Mould auf "Sunshine Rock" noch einen heiteren Feel-Good-Sound ohne Ballast, nun macht die Alternative-Rock-Legende wieder ernst und blickt besorgt auf das Klima, global wie politisch. Sein 14. Soloalbum "Blue Hearts" lässt dabei musikalisch aber nicht den Kopf hängen. Mould klingt hier so energiegeladen und elektrisierend wie eh und je. Auch nach einer Karriere, die vier Dekaden überspannt, hat der 59-Jährige nichts von seinem Biss verloren.
Dass er auf auf seinem neuen Album aber zumindest in seinen Texten eine deutlich finsterere Mine aufsetzt als noch auf dem Vorgänger, passt natürlich ins Krisenjahr 2020. Dabei hat Mould die Songs bereits im Februar in Steve Albinis Electrical Audio Studios in Chicago eingespielt. Was war das doch noch für eine unbeschwerte Zeit, möchte man denken, und bekommt mit "Blue Hearts" jetzt die Auffrischung, dass schon vor den Ereignissen der letzten Monate so Einiges im Argen lag.
Wie ernst es Bob Mould mit seiner Message meint, stellt der Opener "Heart On My Sleeve" klar, wo er sich auf akustische Saitenschläge beschränkt, die an politische Songwriter-Klänge aus den 60ern erinnern. Insbesondere drängt sich hier Namensvetter Dylan mit seinem Klassiker "Masters Of War" auf, wenn Mould mit brüchiger Stimme von kriegstreibenden Nationen, Tod und dem Niedergang der Umwelt singt. "To wear your heart on your sleeve" bedeutet so viel wie die eigenen Gefühle offen zu zeigen, und das gelingt Mould hier auf besonders eindringliche Weise.
Die Verneigung vor den alten Meistern fällt nur knapp aus. Auf "Next Generation" dreht Mould die Amps gleich von Null auf Elf und blickt mit seinem Markenzeichen-Sound aus flirrendem Hochgeschwindigkeit-Alternative-Rock mit gerunzelter Stirn in die Zukunft. Im derzeit schwelenden Generationskonflikt zwischen Baby Boomern, Millennials und der Generation Z müssen sich die "Boomer" oft den Vorwurf anhören, dass sie egoistisch die Zukunft der jüngeren Generationen verspielen. Mould, als Jahrgang 1960 selbst Teil der Boomer-Statistik, braucht sich da nicht angesprochen zu fühlen. Mit diesem hochenergetischen Appell an zukunftsorientiertes Handeln wirkt er sowieso so frisch, als hätte er gerade bei Hüsker Dü angefangen.
Die eigene Jugend thematisiert er im Anschluss mit "American Crisis", das mit wütenden Akkorden vom Leben eines jungen, homosexuellen Mannes in den 80ern erzählt. Mould hat lange gebraucht, um seine Identität als schwuler Mann zu finden. Enttäuscht muss er in diesem Powerrock-Wutausbruch feststellen, dass die Stigmatisierung, die er damals erfuhr, auch heute noch in Teilen der Gesellschaft vorkommt: "I never thought I'd see this bullshit again / To come of age in the '80s was bad enough / We were marginalized and demonized / I watched a lot of my generation die / Welcome back to American crisis."
Dass dem Songwriter die Galle hochkommt, wenn er von seinem Wohnsitz in Berlin aus US-amerikanische Fundamentalisten beobachtet, lässt sich hier an jeder gespielten Note erkennen. Zusammen mit dem Bassisten Jason Narducy und dem Schlagzeuger Jon Wurster, die seit "Silver Age" zur Stammbesetzung gehören, entfesselt Mould auf "Blue Hearts" dröhnende Riff-Ketten, die an die Hochzeiten des Alternative in den 90ern erinnern und dabei auch heute noch zeitlos klingen. Das geschieht mit so einer Leichtigkeit, als hätte Bob Mould diesen Sound erfunden. Verzeihung, das hat er ja.
Die Single "Siberian Butterfly" kontert den apokalyptischen Text über Umweltzerstörung mit schwerelosem Gute-Laune-Rock, den die Foo Fighters schon vor über 20 Jahren mit "Learn To Fly" gemopst haben. Dave Grohls großes Vorbild schüttelt auch 2020 immer noch hymnische Songs aus dem Ärmel, die stellvertretend für ein ganzes Genre stehen, auch wenn sich Mould an manchen Stellen selbst kopiert. "Racing To An End" wirkt etwas zu generisch und entlarvt Moulds teilweise einseitige Songwriting-Herangehensweise.
An der riesigen Spielfreude, die er zusammen mit seiner Band auf diesem Album zeigt, rüttelt diese Song-Homogenität aber keinesfalls. Schließlich mischen sich mit Titeln wie "Leather Dreams" oder dem Rausschmeißer "The Ocean" immer wieder kleine Verschnaufpausen in die Spielzeit, die mit viel Groove und ausgefeilten Gitarrensoli den Spannungsbogen stramm ziehen. "Blue Hearts" zeigt Bob Mould in mieser Stimmung, dafür in musikalischer Bestform.
Seine Laune dürfte sich seit den Aufnahmen in Chicago nicht sonderlich verbessert haben. Freuen darf sich Bob Mould jetzt aber über ein überaus gelungenes Album, das seine Qualitäten zwischen scharfen politischen Kommentaren und einem Gespür für große Melodien zusammenfasst. Auf der nächsten Platte darf es gerne mehr Grund für Sonnenschein geben. Hauptsache, die Musik bleibt so großartig.
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