laut.de-Kritik

Raus aus der Waldhütte, rein ins pralle Leben.

Review von

Apricot? Koralle? Oder sogar Pink? Um Missverständnisse bei der farblichen Bestimmung des Albumcovers zu vermeiden, bringen die Indie-Folk-Stars von Bon Iver zu Promoaktionen ihres fünften Albums "Sable, Fable" frisch gefangene Lachse mit.

Irgendeine versteckte Botschaft? "Es ist einfach Lachs. Das ist meine Lieblingsfarbe", lacht Bandleader Justin Vernon im Gespräch mit Late-Night Talker Jimmy Fallon. Die Fischpräsentation ist nur eine von mehreren Release-Stunts, die eine neue Unbeschwertheit und Lebensfreude des oft melancholischen Singer-Songwriters in den Fokus rücken. Bei einem extra organisierten Basketballturnier in Little Tokyo, LA, tauschte der 43-jährige seine omnipräsente Wintermütze gegen ein Bandana und warf eifrig Körbe. Das Duell: Sables vs. Fables.

Doch Vernons neu gefundene Lebensfreude ist keine simple Nebenerscheinung, sondern bildet den Kern eines akribisch komponierten, zweigeteilten Konzeptalbums. Auf dem Cover umzingelt die heitere Lachsfarbe ein düsteres Schwarz. Die Musik führt das duale Modell weiter: Während die drei einleitenden "Sable"-Tracks mit Folk-Minimalismus eine dunkle, einsame Vergangenheit verhandeln, zeichnet "Fable" in neun Popsongs das Bild einer strahlenden, zweisamen Gegenwart.

Die Aufteilung, die Vernon scherzhaft mit J. R. R. Tolkiens "Hobbit" und "Herr der Ringe" vergleicht, reflektiert den Übergang vom Einsiedler-Narrativ, das der Sänger über die Jahre kultivierte, hin zu einer neuen, lebensbejahenden Perspektive. "Diese Platte war ein Grundstein für die Heilung und die Überwindung der Zeit, in der ich gefangen war", erzählt Vernon in Zane Lowes "Apple Music"-Sendung.

Bei aller dramaturgischen Bevorzugung des zweiten gut gelaunten Teils, erscheint fast ironisch, dass die Leidensverarbeitung im Sable"-Prolog die stärkste Passage des Albums darstellt. Der Sänger, der momentan zwischen seinem Geburtsort Eau Claire in Wisconsin und East LA pendelt, knüpft an sein melancholisches Waldhüttenkammerspiel des 2007er-Debüts "For Emma, Forever Ago" an und hebt es auf eine neue, reifere Ebene. Bereits als EP veröffentlicht, setzt das "Sable"-Triptychon trotz aller Schwere ein kraftvolles Statement. Jeder Ton, jedes Wort werden Teil eines innigen Vortrags, der fast ein Gebet oder eine Predigt sein könnte.

Lediglich von einer Akustik- und Pedal Steel-Gitarre begleitet, entwirft Justin Vernon in "Things Behind Things Behind Things" eine archaische Meditation. Klar und mit starker Stimme widmet sich der Musiker dem Blick in den Spiegel und dem Abtragen zahlreicher Schichten – "I get caught looking / In the mirror...on the regular (…) I see things, behind things, behind things. And there are rings within rings within rings". Es entsteht eine Reflexion, die nicht nur auf sich selbst bezogen bleibt, sondern ins Universelle reicht.

Bon Iver bewegen sich gekonnt in einem tradierten Bezugsfeld. Ganz so, als gäbe es den Folksong schon, als hätten ihn Johnny Cash oder Bob Dylan ihn schon irgendwann einmal gesungen. Das gilt auch für die Whiskey-Ballade "Speyside", die mit Fingerpicking und Geige die Vermächtnisfrage stellt ("I can't rest on no dynasty / What is wrong with me?"). Und auf jeden Fall für "Awards Season", das mit dem feierlichen Versprechen einer Auferstehung und mit einem göttlichen Saxophonsolo den zweiten Teil des Albums einleitet: "Oh how everything can change / In such a small time frame / You can be remade / You can live again".

Im Vergleich mit der kraftvollen Dichte des Prologs kann der euphorische Hauptteil "Fable" nicht durchgängig bestehen. Radikal wechselt der Stil von einer zeitlosen Folkästhetik zu einer zeitgemäßen Pop- und R'n'B-Palette mit Elementen aus Hip-Hop, Soul und Softrock. Sechs Jahre nach dem letzten, ebenfalls experimentierfreudigen Album "I, I" zirkulieren in einer barocken, sinnlichen Ode an die Freude viele Impulse und Ambitionen, Samples und Soundeffekte, manche spannend, manche künstlich, einige finden einander, andere wirbeln weit aneinander vorbei.

Mit "Short Story" gelingt zunächst ein kühner, aber konsequenter Übergangstrack. Mit leichtem Pianospiel, gepitchten Stimmen und opulentem Sound entsteht ein Choral des überwältigenden Aufbruchs ("Oh the vibrance! (It gets brighter) / 'til you can no longer see.."). Mit großem Pathos wird die Ambivalenz des Lebens poetisch aufgefächert: Es gibt keine völlige Ganzheit ("You will never be complete") aber auch keine totale Isolation ("And you’re never really, really on your own").

Je zufriedener das Album wird, umso mehr verschwinden Nuancen. So erfreulich Vernons ekstatische Freude in "Everything Is Peaceful Love" daherkommt, so wacklig gerät letztlich das Lied. Gemessen am Ernst des ersten Viertels, erscheint ein Rap im Haufenreim zusammen mit einem überkandidelten Motown-Chorus über den Wunsch, auf Bäume zu klettern, letztlich wie ein Stilbruch, und keiner der wirklich guten Sorte. Wo Bäume im Pop-Garten erklommen werden, scheinen auch die bunten Planeten und Emojis der Super-Popstars Coldplay nicht weit zu sein. Wieder einmal scheint sich der alte Mythos zu bewahrheiten, dass glückliche Kunst häufig nicht die beste ist.

Auch "Walk Home" hat Mühe, die richtige Spannung zu finden. Unnötig durch ein umherirrendes Vocal-Sample angepeitscht, kreist die Soulballade mit trägem Beat und zuckersüßen Lyrics nah am Kitsch von Phil Collins’ "True Colors"-Version ("And my heart is feeling large / Like you really are in charge / Baby is this some mirage?"). Viel besser wird es auch bei "Day One (Feat. Dijon And Flock Of Dimes)" nicht. Zwar gelingt Vernon im Duett mit der Indie-Sängerin Jenn Wasner von Flock Of Dimes eine überzeugendere Intensität, doch davon bleibt nicht viel, weil auch hier ein merkwürdiges Voice-Sample den Song dominiert. Die R'n'B-Tracks "From" und "I’ll Be There" sind konzentrierter, beschwingter, doch auch ihnen fehlt die letzte Pointe.

Die liefert Justin Vernon dann in "If Only I Could Wait (Feat. Danielle Haim)" im Duett mit Haim-Sängerin Danielle Haim. Ein Lied so weit wie das Meer. Hier fügen sich die Soundeffekte in ein schmachtendes Old-School-Liebesduett, in dem die Stimmen von Vernon und Haim genauso miteinander verschmelzen wie Melancholie und Hoffnung. Es steht wieder etwas auf dem Spiel.

Am Ende ist es ein Prozess, ein Rhythmus. "There's A Rhythmn", singt Justin Vernon im letzten Song vor dem instrumentalen Finale. Bei aller neu gefundenen Freude, ist der Weg noch lange nicht zu Ende: "I could leave behind the snow / For a land of palm and gold / But there are miles and miles to go / And I’ve been down this road before".

Trackliste

  1. 1. Things Behind Things Behind Things
  2. 2. Speyside
  3. 3. Awards Season
  4. 4. Short Story
  5. 5. Everything Is Peaceful Love
  6. 6. Walk Home
  7. 7. Day One (Feat. Dijon And Flock Of Dimes)
  8. 8. From
  9. 9. I'll Be There
  10. 10. If Only I Could Wait (Feat. Danielle Haim)
  11. 11. There's A Rhythmn
  12. 12. Au Revoir

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