laut.de-Kritik

Eine neue Zugänglichkeit abseits von Symbolik und Codes.

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Schon auf seinem letzten Album befreite sich Justin Vernon von den Folk-Wurzeln und fand eine neue künstlerische Freiheit in Sample-Beats und Autotune-Computer-Soul. Auf seinem Debüt "For Emma, Forever Ago" nahm er Abschied von einer verlorenen Liebe, später auch von den Puristen, die nur den einsamen Barden aus der verschneiten Waldhütte auf der Bühne sehen wollten.

So sucht er mit Bon Iver auf dem neuen Album "i, i" nach neuen musikalischen Ausdrucksformen für das Innenleben seiner Seele. Diese bewegen sich in einem kreativen Freiraum, schweben in ätherischen Klangwelten herum und bewegen sich für kurze Momente im gemeinsamen Takt, bevor sie sich wieder von einander weg bewegen.

Was mit seinen ätherischen Flötensound-Sound und Free Jazz nach außen so leicht wie "Naeem" wirkt, ist in Wirklichkeit die konzentrierte Gemeinschaftsarbeit von zwanzig Künstlern. Jede Strophe und Note übergab Projektleiter Justin Vernon zur Veredlung in beste Hände wie die von The National-Gitarrist Bryce Dessner, der wie weitere bekannte Künstler wie James Blake trotz seines großen Namens nur einen Bruchteil zu dem Großprojekt beitrug.

"Marion" und "Faith" sind hingegen Songs der alten Bon Iver-Schule. ""Fold your hands into mine / I did my believing" spricht Vernon hier sein Credo aus. Denn darum geht es trotz all der Veränderungen immer noch: Die Liebe, die Suche nach ihr und trotz Zweifel nicht den Glauben an sie zu verlieren.

In "Sh'Diah" finden der zurück genommene Sound der älteren Alben und der neue mutige Klangkünstler Justin Vernon zu einer Einheit zusammen. Der fühlbare Schmerz dieses Songs, der richtig ausgeschrieben "Shittiest Day in American History" bedeutet und sich auf die Wahl von Donald Trump bezieht, fügt sich trotz ausgefeilterem Arrangement nahtlos in Trauer-Hymen wie "Re:Stacks" oder "Perth" ein. Traurige Bläser führen den Trauermarsch an, das E-Piano-Spiel setzt ein und das minutenlange Flehen des Saxophon in der dunkelsten Stunde ist ein kaum auszuhaltender Todeskampf um die Hoffnung, die letztendlich doch ihr Leben in einem alles erlösenden Schluss aushaucht.

Hochemotional ist auch "Hey, Ma", das auf Youtube mit Videoaufnahmen aus Justins Vergangenheit unterlegt wird. Ob es wirklich eine Reise in seine Vergangenheit ist, bleibt wegen der vieldeutigen Lyrics unklar, die sentimentale Grundstimmung lässt jedenfalls diese Vermutung zu. Die direkte Verbindung zum Hörer findet ausschließlich über das Gefühl statt, wer möchte kann sich natürlich trotzdem den Kopf zerbrechen, ob "a coal mine" eine Metapher oder anders ausgesprochen eine Verbindung zum Albumtitel "I Comma I" herstellt.

Abseits der Symboliken und Codes spürt man auf "i, i" trotzdem wieder eine Zugänglichkeit. Justin Vernon begreift sein Kunstwerk, das er mit "22, a Million" begann, immer mehr und weiß nun um den richtigen Einsatz seiner neuen Stilmittel. Was beim Vorgänger mitunter doch zu grob eingesetzt und manchmal gewollt klang, fügt sich nun genau richtig zusammen. Zumindest ein bisschen hat er wieder die Kontrolle über den künstlerischen Prozess zurück erlangt, gönnt sich aber doch genügend Freiheit, um die Ideen in alle Richtungen wachsen zu lassen.

Trackliste

  1. 1. Yi
  2. 2. iMi
  3. 3. We
  4. 4. Holyfields,
  5. 5. Hey, Ma
  6. 6. U (Man Like)
  7. 7. Naeem
  8. 8. Jelmore
  9. 9. Faith
  10. 10. Marion
  11. 11. Salem
  12. 12. Sh'Diah
  13. 13. RABi

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