laut.de-Kritik
Jamaikas most wanted mit unkonventionellem Ragga auf höchstem Niveau.
Review von Nkechi UzomaJamaikas most wanted, der Warlord, der Professor, der Poor Peoples Governor... kurz gesagt Bounty Killer ist zurück und zwar gleich doppelt. Aus seiner Reihe der Ghetto-Wörterbücher hier "The Mystery". Der Titel kann aber nichts mit dem Inhalt zu tun haben, denn mysteriös ist an dieser Platte nicht wirklich viel. Allenfalls die unerwartete, unerkannte und überraschende Stilvielfalt des Jamaikaners.
Diese schlägt einem vom ersten Track an entgegen und mündet schon bald in eines der Highlights: "Mystery" ist ohne Zweifel einer der heißesten Tracks auf dem Album. Dieser Song ist Ragga wie er im Buche steht: repetitiv-eingängiger Beat und ein Rhythmus, der jeden Ragga-Fan in Exstase und auf die Tanzfläche zu heißem, körperbetontem Tanz bringt. Hier ist wildes Hüft- und Hinternschütteln der Ladies ein Muss. In eine ähnliche Kerbe schlagen auch Track sechs und sieben, wobei der "Bakardi Slang Refix" noch etwas wilder und durchgeknallter ist, was wohl an dem Rapkardinal Kardinal Offishall aus Toronto liegt. Der rappt zum Raggabeat und Bountys Gesang und repräsentiert T-Dot(Toronto) richtig mitreißend. Insgesamt eine hypnotisch-groovende Mischung.
Doch "The Mystery" ist mehr als eine Ragga/ Dancehall-Platte. So ist auch ursprünglicher Rootsreggae gut vertreten, besonders bei sozialkritischen, appellierenden Texten wie "Outcry" oder "Gunz In The Ghetto", das Altmeister Morgan Heritage featured. Bereits "Ghetto Dictionary", der Song zum Albumtitel, kommt mit dicken, langsamen, melodischen Reggae-Beats daher. Abgesehen davon den heißen Tanz in den Dancehall-Höhlen zu fördern gilt es für Bounty Killer auch, die Missstände auf Jamaika darzulegen und Ghettostories zu erzählen, mit viel Intensität und viel Melodie. Dies ist jedoch immer noch nicht alles, denn der letzte Teil des Albums bietet unerwartete R'n'B-und Souleinflüsse gepaart mit Bountys Raggagesang. Eine Kombination die knallt wie nichts. "No Other Like Me" ist nicht nur für den Sommer ein wahrer Ohrwurm, dessen Chorus sich fröhlich im Gehörgang festbeißt wie eine Zecke in ihrem Opfer und nicht mehr abzuschütteln ist. Ein Wahnsinnsgroove ähnlich wie der in "Party 2 The End of Time", was fast mainstreamigen R'n'b bietet, jedoch nicht minder eingängig ist. Diese Mischung der drei Stile, immer mit Bountys Ragga-Rap oder Reggae-Chants macht das Album aus.
Die Unberechenbarkeit zieht sich gnadenlos durch die zwanzig Albumtracks, es wird bei derartiger Stil- und Rhythmusvielfalt kaum langweilig. Trotzdem ragen die richtig obligativ-tanzbaren Ragga-Tracks heraus, bei denen einfach jede einzelne Körperfaser mit geht. Auch beattechnisch ruht sich das Album nie aus: je nach Musik gibt es für den Hörer wilde, exstatische, zuckende teils elektronische Beats auf die Ohren, dann wird es mal melodisch und ruhiger. Vertreten sind des weiteren laut/leise Kontraste, wabernde, behäbige, breite Beats, dann wieder baut der Killer Orgeln oder wahlweise Geigen in die Tracks ein. Mal drohend und eher dramatisch, mal freudig und klar. Über all dem hängt die typische Stimme: tief, mit viel Bass im Gesang, den er aber auch hochschrauben kann. Irgendwie leiernd, fast behäbig, dann wieder schnell und gewand: unverkennbar Bounty Killer eben.
Textlich strahlt "The Mystery" in alle Richtungen aus. Es gibt sozialkritisches über Korruption, Politik und die Situation auf Jamaika, Stories über Frauen und Gefühle, persönlichere Stücke, und Lyriks über die Stärken und Schwächen jedes einzelnen. Es ist ein erzählstarkes aber auch appellierendes Album, bei dem der Partyspaß nicht zu kurz kommt. Das er hierbei an den unumgänglichen homophoben Anmerkungen offensichtlich gespart hat, spricht für Bounty Killer und den Wert der Tracks. Die Ode an seine Mutter in "Pot Of Gold" ist der Abschluss von "The Mystery". Ein langsam-melodisches, universelles Stück von Herzen und seien wir mal ehrlich: eigentlich denken doch die meisten genau so über ihre Mutter.
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