laut.de-Kritik

Stell dir vor, du wärst ein Stein im Meer ...

Review von

Multikulturelle Gruppe, multiinstrumental aufgestellte Band-Mitglieder, nachdenkliches Lied-Material - normaler Weise sind das nicht die Attribute, mit denen man Platz 4 der deutschen Album-Charts erreicht. Bukahara haben das geschafft. Mit "Tales Of The Tides" legen sie ein nettes Folkpop-Album ohne Längen, aber auch ohne Ecken und Kanten vor.

Folkpop, das ist diese Musikrichtung, die einmal im Jahr mit Bands wie Passenger oder The Lumineers durch die Decke geht, selten sogar in tanz- bis mitwippbaren Fusionen made in Germany, siehe Milky Chance. Bei Bukahara kann man aus der Dancefloor-Tauglichkeit das gebremste "In My Mind" gleich wieder aussortieren, obwohl es mit seinen ladegehemmten Fanfaren und arg kalkuliert klingenden Mandoline-Riffs die Struktur billiger Dance-Nummern nachahmt.

Furchtbar träge tröpfeln die Unplugged-Ballade "Follow The Moon" und das deutschsprachige "Stein" vor sich hin. "Stein" ist im Wesentlichen Gesang mit Rhythmus-Untermalung und vorsichtigen Tupfern aus der Trompete und mit gefälligen Mandoline-Akzenten in den Atempausen. Sogar dieser wenige Content schafft es, trotzdem schwülstig zu wirken. "Stell dir vor, du wärst ein Stein im Meer ...", verlangt der Text, ist aber nicht die Einleitung zur Haustür-Werbung einer Sekte und auch nicht das Intro zu einem Seminar für Stressabbau. Die kitschigen, aber im Grunde unangreifbaren Weltschmerz-Lyrics prallen auf einlullende Lullaby-Musik knapp vor den Ausfahrten Richtung Irish Folk und Andenmusik-Samplern mit Panflöte. Derweil verniedlichen sie Alkoholabhängigkeit mit putziger Süßlichkeit. Und schrammen Teile der Melodie in diesem Tempo nicht arg nah an Elton Johns "Piano Man" entlang?

"Ich war schon immer was zwischen Engel und Tier. (...) Heute bin ich zum Fliegen zu schwer / Also geh' ich immer weiter und komm' nicht näher / Die Stadt hört nicht auf, warum bin ich so klein? / Oh, der Wind wird zum Sturm und das Meer ist aus Stein." Das Intro erinnert an oft erprobte Mumford & Sons-Versatzstücke. Das Video führt uns im Video hinein in ein leer gepumptes Schwimmbecken, entbehrt aber leider einer halbwegs rhythmischen Kameraführung oder gar folgerichtigen Filmschnitten. Spannend, dass das aus Steuermitteln finanziert wurde. Trompete mit Handclapping und Balkan-Vibe klingt dann in Summe auch nicht wirklich sexy, allenfalls mal 'anders', so in "Trails Of Bones".

"Border" versucht sich als Carpe-Diem-Motivations-Lied gegen das Gefangensein in persönlichen Fesseln, "Same Kind Of People" ersäuft in Geigen-Gequieke, gemeinsamem Klatschen und einer Bläser-Spur, die oben drauf glasiert wirkt. Professionelle Vollblut-Musiker, wie die Mitglieder des Quartetts jedoch sind, brezeln sie "Storytelling Animal" mit ihrer so einmaligen wie eigenwilligen Instrumentierung auf. Sie schalten in beschwipst klingendes Arabisch in "Assad" auf einem zugegeben unwiderstehlichen Groove-Brett mit Schabe- und Kratzgeräuschen und einem tickenden, vorwärts stolpernden Rhythmus. Staubtrockenste Percussion kombiniert die Köln-zentrierte Gruppe mit tänzelnden Streichern. Weder in punkto Originalität noch Unterhaltsamkeit lässt sich da meckern. 

Zudem lässt einen der Opener und Titelsong "Tales Of The Tides" über Herbstmelancholie schnell auf den Leim gehen, wenn man auf typische mitsingbare Melodien steht. Phasenweise, besonders im instrumentalen Mittelteil, mag man das Lied sogar schöpferisch finden. Dabei reiht es Text-Plattitüden aneinander und bietet gesanglich so gut wie null Ausdruck. Insgesamt zeigt die Platte zwar viele Ansätze, Melancholie facettenartig auszurollen. Dabei wirkt sie aber durch übertrieben zur Schau gestelltes Feingefühl an den falschen Stellen, fehlende Reflexion in den erforderlichen Momenten und eine glatt gebügelte Produktion recht plump.

Trackliste

  1. 1. Tales Of The Tides
  2. 2. Border
  3. 3. In My Mind
  4. 4. Same Kind Of People
  5. 5. Storytelling Animal
  6. 6. Stein
  7. 7. Assad
  8. 8. Trails Of Bones
  9. 9. Follow The Moon

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2 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor einem Jahr

    globomix

    Hab die Band vor einer Woche in Hamburg gesehen, in der ausverkauften Große Freiheit 36. Ihr hier kritisiertes Stück Same Kind Of People kam da leichtfüßig und mit Swing von der Bühne.

    Also "knapp vor den Ausfahrten Richtung Irish Folk und Andenmusik-Samplern mit Panflöte" war da nichts zu hören. Vielmehr ein in die Beine gehender Mix aus Ska-Balkan-Beats, Oriental-Grooves und Folk-Roots.

    Die Band war spielfreudig, improvisierte gekonnt bekannte Songs und sorgte für große Begeisterung. Positive Vibrations und Let's come together waren da angesagt, keine "einlullende Lullaby-Musik".

    Erst bei ihren Konzerten zeigen die Musiker, was sie wirklich drauf haben. Also hingehen und selbst erleben!

    • Vor einem Jahr

      Was die auf der Bühne spielen, ändert nur leider null an dem, was auf dem Album zu hören ist und darum geht es hier, nicht um eine Konzertkritik.
      Album anhören->Album bewerten
      Konzert erleben->Konzert bewerten
      Ist eigentlich gar nicht so schwierig.

    • Vor einem Jahr

      Stimmt. Frag mich aber zb bei Deichkind Rezensionen manchmal, ob das auch so geschieht.

  • Vor einem Jahr

    Gut, also dann zum Album:

    "Furchtbar träge tröpfeln die Unplugged-Ballade "Follow The Moon" und das deutschsprachige "Stein" vor sich hin."

    Ist Geschmackssache. Mich erinnert "Moon" vielmehr an die Aufnahmen von Nick Drakes "Pink Moon". Bass und Percussion hätten den Song sicher runder gemacht.

    "Stein" ist halt ungewöhnlich für ihren Gruppensound, wird aber gut gesungen. Der Text ist schon speziell. Ob das Video gelungen ist, hat nichts mit der Album-Kritik zu tun.

    "Same Kind Of People ersäuft in Geigen-Gequieke".

    Höre ich nicht, vielmehr ein leicht angejazztes Stück mit gutem Flügelhorn-Intro und treibender Akustikgitarre. Und die akustischen Basslinien geben der Nummer das richtige Fundament.

    "Zudem lässt einen der Opener und Titelsong "Tales Of The Tides" über Herbstmelancholie schnell auf den Leim gehen, wenn man auf typische mitsingbare Melodien steht."

    Die Betroffenheits-Lyrik ist schon etwas heftig, auch der getragene Schluß erinnert an Kirchenmusik.

    "Dabei wirkt sie aber durch übertrieben zur Schau gestelltes Feingefühl an den falschen Stellen, fehlende Reflexion in den erforderlichen Momenten und eine glatt gebügelte Produktion recht plump."

    Ob dem so ist, sollte jeder duch eigenes Hören überprüfen, gibt ja einige Videos dazu.
    Habe vielmehr den Eindruck, dass Philipp Kause ihren Musikstil nicht mag.