laut.de-Kritik
Den Optimismus bewahren, gerade in der tiefen Krise.
Review von Simon Conrads"Ich habe tatsächlich alle klaren Ambitionen oder Hoffnungen abgelegt, wo es mit meiner Musik hingehen soll", sagt Cassandra Jenkins dem Our Culture Magazine über ihr zweites Album "An Overview On Phenomenal Nature". Das glaubt man sofort, denn wo ihr Debüt "Play Till You Win" noch ein recht geradliniges Folk-Rock-Album war, klingt sie nun freier, verbindet Joni Mitchells Folk mit Lou Reeds Spoken Word-Stücken und The Nationals verträumten, elektronischen Indie mit Jazz. Dass im Ergebnis ein so rundes Hörerlebnis entsteht, liegt sicherlich nicht zuletzt daran, dass Jenkins aus einer Musiker*Innen-Familie kommt und schön früh mit allerlei Einflüssen und Klängen in Berührung kam.
Zwar knüpft das lässige "Michelangelo" noch an "Play It Till You Win" an und bietet schlurfenden Folk, in dem auch eine E-Gitarre auftrumpft. Schon mit "New Bikini" breitet sich Jenkins aber Genre-mäßig aus. Zwar kommt dieser Titel noch recht schläfrig daher, akustische und E-Gitarren umspielen sich, ein Piano mischt sich ein und ein sanft mit Besen gespieltes Schlagzeug schiebt an. Aber erst wenn sich wiederholt Bläser und Synthies in die Komposition breit machen, gerät das Stück zu einem wunderbaren Jazz-Folk-Highlight.
Über den Texten liegt der Schatten von David Bermans Tod, kombiniert mit einem Silberstreif. Der Frontmann der Silver Jews und später der Purple Mountains brachte sich 2019 kurz vor Beginn seiner Comeback-Tour um. Jenkins sollte die Purple Mountains live unterstützen, fand sich dann aber plötzlich trauernd und ohne Auftritte in Europa wieder: "After David passed away / My friends put me up for a few days / Off the coast of Norway / And every morning they'd say / Baby, go jump in the ocean / It's cold enough to get your blood moving / Yeah, the water / It cures everything", heißt es in "New Bikini".
Dabei erdrücken die Songs trotz all dieser Schwere nie, sondern bewahren sich immer etwas Optimistisches, vermitteln das Gefühl, das selbst aus Trauer am Ende etwas Neues entsteht, und es in Trauerphasen Geschichten gibt, die erzählenswert sind. Jenkins gelingt es, diese Geschichten und große Emotionen in wenigen Zeilen präzise einzufangen. In "Ambiguous Norway", das stellenweise wie eine vertonte Trauerrede für Berman klingt, heißt es: "Landing in Oslo / There's still something in the air / No matter where I go / You're gone, you're everywhere". Die Musik hätten auch die Dessner-Zwillinge von The National schreiben können.
Der Kernsong des Albums heißt "Hard Drive". Das Stück beginnt mit Sprachaufnahmen einer Sicherheitsbeamtin, die ihr, wie Jenkins erklärt, einen "Überblick über die phänomenale Natur" gibt: "When we lose our connection to nature, we lose our spirit, our humanity, our sense of selfe", sagt die Sicherheitsbeamtin, und von da ab entwickelt sich ein wunderbarer Sog, der durch Jenkins Spoken Word-Einlagen an Lou Reeds "The Last Great American Whale" denken lässt. Der Titel baut sich wunderbar auf, wieder glänzt das Saxophon. Dabei schildert Jenkins aus einer eher passiven Rolle Begegnungen mit Menschen. Neben der Sicherheitsbeamtin etwa auch ein Buchhalter, den sie in der Hook zitiert: "He said, 'You know the mind / The mind is just a hard drive'".
Es geht Jenkins um Veränderung, um Akzeptanz, um Aufmerksamkeit für seine eigene Umgebung, und sie transportiert alles mit einer authentischen Faszination für das Leben und dessen stetigen Wandel. Die musikalische Leichtigkeit entsteht auch dadurch, dass Jenkins und Produzent Josh Kaufman die innerhalb von drei Monaten geschriebenen Songs in nur einer Woche aufnahmen. Von Hektik findet sich dennoch keine Spur, es wirkt eher so, als hätte einfach recht schnell sehr viel gepasst.
Nach "Hard Drive" geht es überzeugend weiter. "Crosshairs" bietet noch mal entspannten Folk mit charmanten Flöten. "Hailey" fährt komplett herunter, verzichtet auf Drums und stellt so auf den siebenminütigen Instrumental-Closer "The Ramble" ein. Das Stück, wohl benannt nach einer der Waldflächen im Central Park, und unterlegt mit Tonaufnahmen, die einen Parkspaziergang simulieren, gerät zum stimmig meditativen Abschluss. Ambient-Musik, die ein Saxophon ins Zentrum stellt und das Vorangegangene reflektieren lässt. Eine Zeile aus "Hard Drive" kommt in den Sinn: "We're gonna put your heart back together". Das scheint auch die erbauliche Mission des gesamten Albums zu sein, ein bekräftigendes 'Wir schaffen das' alles, irgendwie, zusammen.
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