laut.de-Kritik
Alternative-Aderlass mit Boygroup-Charme.
Review von Katja ScherleBritrock von außerhalb des Brit-Gebiets ist nicht mehr des Stempels "Innovativ" würdig. Cassette allerdings hätten zumindest rein geografisch, wenn auch nicht politisch einen wirklich langen Weg hinter sich, bevor sie auf der Insel ankämen. Die Band kommt aus Südafrika und glücklicherweise hört man das auch.
Denn fast ihr gesamtes Debüt-Album "Welcome Back To Earth" scheint wie mit einer süßen Schicht Zucker überzogen, wie man sie sich hier nie erlauben würde. Der Gesang schmeichelt dahin wie der einer auf zwanghafte Herzerweichung programmierten Boygroup.
So startet "A.I." zwar als recht klassische Midtempo Indie-Ballade. Nicht so pathetisch wie Travis, nicht so dicht wie Coldplay, aber doch mit einer schön tiefen Gitarreneinleitung, später stößt noch genrekonform ein Klavier zu. Doch bereits nach wenigen Takten fühlt man sich fast peinlich berührt von der zärtlichen, jungenhaften Sangesweise des Leadsängers John Savage. Nicht auszudenken, wie er dann erst im heimischen Schlafzimmer blümchenhaft säuselnd zur Sache geht.
"Love With The Light On" verbittert ein wenig die intime Süße: Es wird schneller, eine Orgel untermalt den Gesang, der sich zwar immer noch oft im Falsett bewegt, aber nicht mehr so haarscharf am Schmalz vorbeikratzt. Fast werden die Herrschaften aus der südlichen Hemisphäre amerikanisch, wenn sie etwas vom dort eher klassischen College-Rock einfließen lassen.
"Your Star" liefert endlich die erhoffte Synthese. Eine Keane-hafte Klaviermelodie, aber auch ordentlich Kraft hinter den Gitarren – hier fügt sich der stimmliche Schmalz endlich perfekt ein. Eine kluge Entscheidung, dies zur Singleauskopplung zu küren. "Sometimes" allerdings ruft gleich wieder die Ambivalenz auf den Platz. Einerseits haben wir es hier mit einem netten Rhythmus zu tun, wie man ihn von den Helden oder auch von den Strokeskennt.
Andererseits wird dieser flankiert von einer gar grausig altbackenen Keyboard-Melodie, mit dem leider nur noch Alleinunterhalter René seine Zuhörer von den Bierbänken reißt. Ironisches Stilmittel? Unverkrampfter Umgang mit Instrumenten bedingt durch ihre fast unbefleckte Herkunft? Und ebenso zweischneidig kommt dann auch noch "Beautiful Smile" daher: Es darf wieder geschnulzt werden: "You’ve got a beauuuuutiful smile" lobt Savage den Hörer. Danke, aber das passt doch so gar nicht in das intellektuelle Selbstbild des Genres, das nach weitaus raffinierteren oder ironischen Zärtlichkeitsbekundigungen verlangt.
Irgendwie schaffen es Cassette dann irgendwo, dass man irgendwann sämtliche antrainierten Ansprüche ablegt und einfach entspannt und verwöhnt von so viel musikalischer Unbekümmertheit zuhört. Da nehmen sich die Dame und die Herren von ganz woanders alles, was ihnen von der Nordhalbkugel gefällt und servieren es in einem riesigen, bunten Eisbecher fern aller Konventionen. Und es macht den Mix umso reizvoller, als dass die "Seite B" der Cassette-CD-Kassette mal eben mit einem wunderbar unverschämten Song über Inzest beginnt („Tracy“). Fast hätte man es vor lauter Fröhlichkeit überhört.
Cassette sind wie ein heilsamer Aderlass für die hiesige Musikszene. Sie führen die lokalen Konventionen charmant ad absurdum. Und verleiten einen zu solchen Sätzen wie: Sie machen ihr eigenes Ding.
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