laut.de-Kritik
Schnappschüsse aus dem Seelenleben.
Review von Dani Fromm"Ich werfe euch Blicke zu, nicke zu dem Takt meiner Verse und erzähle euch, wie es mir so geht." Viel mehr als einen Blick in seine Seele kann ein Künstler eigentlich nicht bieten, auch wenn er am Ende feststellt: "Alle Songs, die wir schrieben, waren für uns selbst." So lange Chefket die Welt großzügig an den Bildern teilhaben lässt, die er mit dem Alphabet malt, sollte sie ihm derlei Egoismus locker nachsehen.
"Fliegen & Fallen" fängt die Rastlosigkeit ein, die einen bis über die körperlichen Grenzen hinaus durch die ganz und gar nicht mehr junge Nacht treibt. Der Titeltrack entführt zu souligem Sample zurück in längst vergangene Schulzeiten. Augenblicke der Ruhe und Zufriedenheit wechseln mit immerwährendem Grübeln, nagender Ungewissheit, dem fast schon verzweifelten Ringen nach den richtigen, den neuen Worten für manches altvertraute Thema.
Mehr als zwanzig Jahre nach Advanced Chemistry erscheint die Fremd-im-eigenen-Land-Thematik noch immer aktuell. Die Frage, wie viel der eigenen Persönlichkeit das Erbe, wieviel die Umstände ausmachen, unter denen man aufwächst, treibt schließlich nicht nur die um, die zwischen den Kulturen und damit zwischen allen Stühlen aufwachsen.
Chefket sucht sich zur Beleuchtung dieser Thematik kompetente Hilfe. Zusammen mit Marteria geht er der Spur nach, "Was Wir Sind". MoTrip und Tua wandeln mit ihm gemeinsam zwischen den Welten, die sie sich vehement in Schwarz und Weiß einzuteilen weigern. Statt dessen predigen sie Mut zur Farbe.
"Woher komm' ich, woher kommst du?" Am Ende stellt sich das als vollkommen irrelevant heraus. "Entscheide du, was du sein willst." Die Identität, der Chefket nachsspürt, steckt letztlich weder in den Genen noch im Umfeld. Sie destilliert sich aus der Summe der Wege, die man eingeschlagen hat.
Mit dieser Erkenntnis lässt es sich gelassen, mit der Kraft, die in der Ruhe liegt, in die Zukunft sehen. Das angejazzte Instrumental dazu scheint direkt aus den Blue Note-Archiven gepurzelt zu sein, wunderschön: "Keine Angst", weder vor der Welt da draußen noch vor dem eigenen Innenleben. Alle Wege führen "Nach Vorn", und, ja: Man darf sehr wohl rappen und singen, so lange man beides beherrscht.
Die Beats greifen die Stimmung der Texte wunderbar auf, spiegeln und fokussieren sie, etwa in "Zeitlupe", die das Geschehen tatsächlich aus dem Lauf der Dinge herauszulösen scheint. Dennoch wirkt manches - etwa "Was Wir Sind" mit Marteria - zu lauwarm, um wirklich zu berühren. In dem fluffigen Pop-Liedchen kommen einem beide Akteure geradezu enttäuschend satt vor.
"Made In Germany", ein politisches Statement gegen deutsche Rüstungsexporte und Profitgier, steht zudem ein wenig verloren zwischen den Stationen einer Sinnsuche. Geschlossenheit hebt sich Chefket offenbar für ein richtiges Album auf. "Identitäter" präsentiert stattdessen lose nebeneinander geworfene Momentaufnahmen von Chefkets Gefühlslage. Statt eines inszenierten Porträts seines Schaffens zeigt er Schnappschüsse. Doch die besitzen ja oft einen ganz besonderen Reiz.
3 Kommentare
Ganz gut gelungen. Hätte man zwar mehr rausholen können, aber soweit ganz gut dieses Album.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Die Guter Tag EP war genial, Identitäter ist etwas schwächer, nichtsdestotrotz einer der talentiertesten MCs die Deutschland zu bieten hat.