laut.de-Kritik

Dancing Queen mit gebrochenem Herzen.

Review von

Die Rückkehr der Hybrid-Frau. Clementine Creevys Projekt Cherry Glazerr lustwandelt schon seit Jahren zwischen Synth-Pop und grungigen Fuzz-Gitarren. Ihr Selbstbewusstsein bekam nach einer Trennung und weiteren Enttäuschungen aber einen ordentlichen Kratzer. Der befindet sich auch auf dem recht aggressiven Cover, das die erogene Zone unterhalb der Gürtellinie zur Verbotszone erklärt. Wer immer ihr auch das Herz brach und all das Selbstwertgefühl nahm, sorgte womöglich für den größeren Einfluss von traurigen Synth-Pop-Flächen.

Die Zeile "And I'm dying on the inside" klingt so rein lyrisch nach verzweifeltem Grunge-Aufheulen, doch lädt eher zu einem traurigen Tanz auf dem Dancefloor ein. So düster war es dort selten. "Crying at the discotheque" sangen Alcazar in den Nullerjahren und genau dieses Bild bleibt im Kopf. Creevy als kaputte Dancing Queen, die zerstört wie Courtney Love mit zerlaufenem Mascara und einem verwelkten Strauß Blumen fast schon unnatürlich in die Kamera lächelt.

Hochstimmung sucht man auf der Platte dennoch vergebens. Ob nun ein Neo-Disco-Track wie "Bad Habit" oder der Alternativ-Rock-Einschlag in "Addicted To Your Love": Da steckt immer eine gewaltige Portion Frust unter der gar nicht so harten Oberfläche. Das Album geht trotz seiner missmutigen Themen gut durch und bleibt auch für Indie-Pop-Hörer kein schwer verdaulicher Hassbrocken. Dieses beängstigend routinierte Switchen zwischen muffeligem Rock-Schuppen und fancy Vintage-Tanzlokal bekommen nur wenige Künstler:innen so gekonnt hin. Die schweren Doom-Gitarren in "Touched You With My Chaos" rollen einfach so über den Hörer hinweg, nur damit kurz danach der heavy Rock-Sound für den 80er-Pop von "Wild Times" und "Eat You Like A Pill" Platz macht.

Oder wie wäre es mit einem Wechselspiel zwischen tiefschwarzer Post-Punk-Trauer im gar nicht süßen "Sugar" und dem schwülstigen Siebziger-Prog-Lied "Shattered"? Ganz egal, welcher gemeine Mensch Clementine Creevy das Herz brach, aber ihr wirklich beeindruckendes Talent mit gerade einmal 24 Jahren blieb davon zum Glück unversehrt. "I Don't Want You Anymore" bildet dieses Wechselspiel aus Angst vor neuen Verletzungen und dem impulsiven Wunsch nach neuer Liebe sehr gut in all seinen Facetten ab. Das ist eine extreme Offenheit, die man im gerade äußerst angesagten Girlboss-Mode nur noch selten antrifft. Vielleicht bereut sie diesen Seelenstriptease noch einmal, aber das alles ist weit weg von den Industry Plant-Versuchen, mit der Majorlabels gerade eine junge, alternative Musikhörerschaft ködern.

Nur selten greift Creevy auf Hilfe zurück. Mit Kieran Hebden von Four Tet gab es eh schon eine Freundschaft, also warum nicht seine Hilfe für "Golden" in Anspruch nehmen, das einer PJ Harvey zur Ehre gereichen würde? Der Eklektizismus dürfte Cherry Glazer für höhere Mainstream-Weihen natürlich mal wieder im Weg stehen, aber kommerzieller Erfolg wäre nun hochverdient.

Trackliste

  1. 1. Addicted To Your Love
  2. 2. Bad Habit
  3. 3. Ready For You
  4. 4. Touched You With My Chaos
  5. 5. Soft Like A Flower
  6. 6. Sugar
  7. 7. Golden
  8. 8. Wild Times
  9. 9. Eat You Like A Pill
  10. 10. Shattered
  11. 11. I Don't Want You Anymore

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