laut.de-Kritik
Songs zum Liebhaben.
Review von Andrea Topinka"Weil wir gern geradeaus und einfach sind, erstaunlich leicht vergeben, mit unserm Leiden prahlen, uns am Ende alles nehmen / Weil wir bescheiden sind im Abgang, so gerne Stecker ziehen" ("Brustschwimmen im Nebel (Unter Lämmern)"): Gewissermaßen fasst Kevin Hamann, der zusammen mit seinem Dauerkollaborateur Oliver Stangl hinter ClickClickDecker steckt, mit diesen Zeilen aus dem letzten Track von "Ich Glaub Dir Gar Nichts Und Irgendwie Doch Alles" die Quintessenz zusammen. Auf seiner fünften Platte liefert er reduzierte, geradlinige Songwriter-Stücke voller melancholisch nostalgischer Beobachtungen und Tauchgänge in sein Liebes- und Leidleben.
Ein neues "Wer Hat Mir Auf Die Schuhe Gekotzt" findet man hier zwar eher nicht und auch insgesamt fehlt es dem Album stellenweise am textlichen Augenzwinkern und Raffinesse der Vorgänger. In einer Klasse mit norddeutschen Kollegen wie Kettcar, Gisbert zu Knyphausen oder Spaceman Spiff, von dem er erst kürzlich einen Song coverte, spielt Hamann dennoch problemlos mit.
Mit seinem Elektro-Krawall-Nebenprojekt Bratze hat "Ich Glaub Dir Gar Nichts Und Irgendwie Doch Alles" denkbar wenig am Hut. Die meisten Titel untermalen Akustik-Gitarre, Schlagzeug, ein paar Percussions, etwas Klavier oder Bass. Elektronische Elemente setzen nur hier und da ein verspieltes Detail. Ein Makel ist das selbstverständlich keinesfalls: Die sehnsüchtige, folkige Gitarren-Ballade "Die Nutzlosen (Unentbehrlich)" zählt ohne Frage zu den besten Liedern der Platte. Hier ringt der Hamburger mit Zurückweisung und Zweifeln: "Du weißt nicht mal meinen Namen und ich, ich bin von dir besessen / Und als du mir dann sagtest, das mit uns, das liegt glaube ich an dir", "Ich würd dir ab und zu aufs Maul haun / Schlecht gelaunt und abgebrannt starr ich in den Spiegel".
Zu entdecken gibt es dennoch einiges. Vor allem aber "Myoklonien" bricht auffällig aus dem klassischen Songwriter-Schema aus: Über unruhigem, disharmonischem Elektro-Gefrickel wiederholt Hamann kalt "Sag nicht ab, sag gar nicht einfach erst zu". Das mähende Lämmer-Intro, das "Brustschwimmen im Nebel (Unter Lämmern)" eröffnet, bleibt natürlich auch in Erinnerung.
Es muss aber nicht immer extrem sein. Das hymnische und mit Chorgesängen versetzte "Niemand Wird's Gewesen Sein" zeichnet mit wunderschönen Bildern einen ausklingenden Tag und eine endende Beziehung in Hamburg: "Ein romantischer Ort, ein Kessel der Zensur, ist der Hamburger Hauptbahnhof, kurz vor 18 Uhr / Du hast die Farben und ich das Papier, ich pfeif auf deine Nummer, während ich auf Gleisen spazier". Erwachsenwerden und Abschiednehmen suchte Hamann sich offenbar als zentrale Themen für sein Album aus und so endet der Track dann auch: "Wenn man immer nur zurückschaut, ist irgendwann nichts mehr da / Was mich früher beruhigt hat, ist mir heute ziemlich egal / Womit du mich früher gekriegt hast, ist mir heute eher egal". Fast schon ein bisschen cheesy, aber der Hamburger packt den Hörer damit trotzdem.
Eine ähnliche, wenn auch etwas schlichtere Richtung schlägt "Bücher Deine Kissen" ein, das sich mit Zeilen wie "Kneipen unsere Kirchen, Straßen unsere Decken / Irgendjemand soll uns gefälligst retten" oder dem hallenden Refrain "Wenn ich irgendwas gut kann, dann mich daran nicht erinnern" zu einem neuen Lieblings-Livestück des Publikums entwickeln dürfte.
Was in "Bücher Deine Kissen" anklingt, bestätigen die Vorab-Single "Tierpark Neumünster", "Erledigungsblockaden" oder "Was Kommt Wenn Nichts Kommen Will": Fröhliche (zumindest, wenn man sich das rein musikalische anschaut) Gitarren-Pop-Songs mit Zeilen, die ins Ohr gehen ("Eine Art von Konstanz, eine gewisse Relevanz / Weil du damit aufwachst oder weil dus kannst"), packten ClickClickDecker haufenweise auf "Ich Glaub Dir Gar Nichts Und Doch Irgendwie Alles".
Nach ein paar Mal Hören entdeckt man zwar erst alle versteckten instrumentalen Spielereien und den einen oder anderen doppelten Boden in den Texten, doch leider fällt dann auch die Schwäche der Platte auf: Sowohl Inhalt als auch Melodien ähneln sich über eine Dauer von 14 Songs dann doch so sehr, dass man zwischendurch mal genug hat von den Reflexionen, Rückblicken und Leiden des Songwriters. ClickClickDecker haben hiermit sicher nicht ihr bestes Album abgeliefert, dafür viele Songs zum Liebhaben, die als Soundtrack die eigenen grauen Tage taugen.
6 Kommentare mit 2 Antworten
Das Ding ist doch gerade, dass diese Kombo NICHT in einer Liga mit o.g. Vergleichsgrößen spielt. Dafür ist das Songwriting einfach nicht ausgereift genug, weder bei Bratze noch hier. Das war auch bei den Vorgängeralben so. Alleine auf textlicher Ebene ist da einfach nicht genug, was lange hängen bleibt. Ich seh da leider auch keine Steigerung.
Raumaffe hat recht, Gisbert-Niveau ist das absolut nicht. Ansonsten warte ich mal das Album ab.
Man ist nach der langen Pause ja fast geneigt, etwas mehr zu erwarten - bei der Rezension lass' ich das aber mal lieber.
Die Vorab-Singles waren ja auch schon nicht die Besten: Ganz nett und eine Erinnerung daran, warum man Clickclickdecker eigentlich mag, aber auch nicht mehr.
Ein weiteres Kleinod wie "Nichts Für Ungut" erwart' ich jetzt eher nicht.
Ich finde den Gisbert ja krass overrated. Er hat schon geile Songs, aber warum der jetzt der Songwritermessias sein soll, weiss ich auch nicht. Bei Clickclickdecker bewundere ich einfach, wie er Texte schreibet so dass man nicht schon alles vorgesetzt bekommt, sondern was zum nachdenken hat. Er hat ein gutes gespür dafür Dinge wegzulassen und der schnodrigge Gesang ist ehh über alles erhaben.
Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.
Jetzt ist der Beitrag doch gelöscht? Dauert neuerdings 'ne Weile, bis hier was gelöscht wird, wie?
fünf sterne leserwertung? bitte?
Ich hab's jetzt gehört und meine Vermutungen haben sich bestätigt: Schon ganz schönes Album, aber damit wird der Gute wohl kaum jemanden neu für sich gewinnen können.
Den Eindruck der Rezensentin, dass das Album über die Länge etwas schlaucht, teile ich auch. Nett, dass es was Neues von ihm gibt. Aber Clickclickdecker hat auch schon Besseres zu Wege gebracht.
Nach mehrmaligem hören, kann ich den genannten Kritikpunkten zustimmen. Ein neues "Nichts für ungut" ist es wirklich nicht geworden. Die Stärken die ihn liebenswert machen spielt Clickclickdecker, aber auch auf dem neuen Album aus. Es gibt eine schöne melancholische Grundstimmung, die tatsächlich auch schonmal lockerer war, Zeilen zum gernhaben und die schönste schlechte Stimme im deutschen Indiepop. Perfekt um auf den Frühling zu warten.