laut.de-Kritik
Priest, Maiden und Metallica: Kult-Alben genau beleuchtet.
Review von Michaela PutzJedes Musikgenre hat seine Grundpfeiler, jede Epoche ihre Klassiker. Bahnbrechende Alben also, die für Folge-Generationen prägend sein sollen. Die Heavy Metal-Box vereint die Geschichte dreier solcher Alben, die eine Musik- und Jugendkultur, welche der konservativen Bevölkerungsschicht seit ihrer Entstehungszeit kalte Schauer über den Rücken jagt, nachhaltig beeinflussten: Zwei Aushängeschilder der New Wave of British Heavy Metal, Judas Priest und Iron Maiden, sowie Metallica.
Living after midnight, rockin' to the dawn / Lovin' 'til the morning, then I'm gone, I'm gone
Schon die Covergestaltung des 1980 veröffentlichten Judas Priest-Albums "British Steel" war Stein des Anstoßes für Kontroversen über die gezeigte Brutalität. Wobei die Hand mit der Rasierklinge heute, im Angesicht manch anderer "kreativer" Cover, wohl nur mehr ein müdes Lächeln hervor ruft. Bekannt sind die Judaspriester neben ihrer Musik für den auf den Live-Shows praktizierten Männlichkeitskult aus Leder, Nieten und heißen Eisen (der laut Reto Wehrli nach Halfords Outing als Homosexueller eine neue Konnotation bekam, wie er in seinem Buch "Verteufelter Heavy Metal" schreibt). Über die Rolle der Harleys auf der Bühne und deren Verbindung mit Priests Musik meint Rob Halford, Harleys und Metal seien "laut, sie riechen und die Leute ärgern sich darüber".
Doch Image hin oder her, was eine Band ausmacht, die einen geschichtsträchtigen Rundling hervorbringt, ist deren Musik. Diese bringt die DVD dem Seher anhand einer Montage aus Interviewschnipseln, Studioaufnahmen und Konzermitschnitten näher. Judas Priest in Originalbesetzung philosophieren über die "British Steel"-Songs, geben die Hymne "United" zum Besten oder analysieren das Sommerflair von "Living After Midnight". Das, was die "Botschafter des Heavy Metal" damals als Hardrock weiter entwickeln wollten, sollte als Heavy Metal populär werden.
Platz ist aber nicht nur für derartige Fachsimpeleien, sondern auch für Anekdoten und Persönliches. Logische Themen sind demzufolge das Zusammentreffen der Band mit Rob vor Erscheinen des Silberlings als auch dessen Abgang 1992. Nicht zu vergessen die Freude der Combo, ihn nach Jahren wieder zu treffen sowie das Gefühl des "Metal Gods" Halford, noch immer zu Priest zu gehören. Was im Jahr 2003 – zwei Jahre nach Produktion dieser DVD – aufgrund der Reunion nicht nur ein vages Gefühl, sondern Realität werden sollte. Klar, dass die Doku nicht ohne Bonusmaterial wie Promovideos, Zusatz-Interviews über erste Gigs sowie "Rock'n'Roll Stories" auskommt.
Woe to you Oh Earth and Sea / for the Devil sends the beast with wrath / because he knows the time is short / Let him who hath understanding / reckon the number of the beast / for it is a human number / its number is six hundred and sixty six
Schon zwei Jahre nach "British Steel" lassen Iron Maiden das Biest los und finden zu ihrem eigenen Stil, der sie so erfolgreich werden lässt. Darauf lässt die 1981 zur Band gestoßene "Luftschutzsirene" Dickinson Metal-Hymnen wie "Run To The Hills", "Hallowed By Thy Name" oder "The Number Of The Beast" ertönen. Diese Songs und weitere kann man sich anhand von Konzertgigs auf der einfallsreich und humorvoll produzierten DVD zu Gemüte führen. Mit fortschreitender Laufzeit offenbart sich darüber hinaus das Erfolgsgeheimnis der eisernen Jungfrau: Qualität, Mut zur Entdeckung von musikalischem Neuland zum richtigen Zeitpunkt, eine Portion Glück, ein präsenter Frontmann, ein außerordentlich engagierter Manager – und Eddie. Der zieht sich nicht nur wie ein roter Faden durch die Band- und vor allem Covergeschichte, sondern ist auch der Running Gag der Doku.
Deren Grundpfeiler sind Interviews mit Bandmitgliedern, Manager, Produzenten und - Dave Mustaine. Das Konzept runden Gigs, Studiobesuche, Solovorführungen und Ausflüge mit Dickinson in den Park ab. Sehr unterhaltsam sind die "Grusel"-Geschichten, die sich um die Albumproduktion abspielten, das Auftauchen der Zahl 666 in spezifischen Situationen, das Zusammentreffen mit sechs Nonnen – und die ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber den vermeintlichen Satanisten.
Die sollte sogar zu Plattenverbrennungen bei amerikanischen Jugendlichen führen. Wie absurd diese Vorwürfe sind, ist nicht nur Maiden-Fans bekannt. Genau so sehr wie die Tatsache, dass bei der Band äußerst sympathische und kluge Musiker am Werke sind, die sich sowohl in Bezug auf die Musik als auch auf ihre Texte Gedanken machen. Der Bonusbereich geht vertiefend auf das Maiden (wie auch Judas Priest) kennzeichnende Zwei-Gitarren-Konzept ein, zeigt Festivalausschnitte, ausführliche Interviews und lüftet die Story hinter den Spitznamen der Mitglieder.
New blood joins this earth / and quickly he's subdued / through constant pain disgrace / a young boy learns their rules
Mein persönliches Highlight liefert die Box mit dem Making Of von Metallicas selbstbetiteltem Album aus dem Jahr 1991, auch das "Black Album" genannt. Hier bekommt der Fan die Gelegenheit, mit den Metalheroen (man entschuldige die pathosverklärte Sichtweise der Autorin) die Studioarbeit zu verfolgen. Immerhin breiten sie den Entstehungsprozess der Songs aus, die einerseits für die Band selbst als auch für andere Musiker wegweisend waren. Überspitzt gesagt beleuchten sie jeden Riff und jede musikalische Veränderung von der Original- und der Probeversion. Die es auch zu belauschen gibt, was teilweise sehr amüsant anmutet.
Etwa, weil James oft erst kurz vor den Aufnahmen die Lyrics schreibt und ein Demo textlich auf "Wahwahwahs" beruht. Man erfährt allerdings, dass es so lustig während der Produktion des schwarzen Albums nicht immer zuging. Der Prozess war dominiert von Machtkämpfen zwischen der Band und Produzent Bob Rock, der Metallica auf jenen Pfad bringen wollte (und das auch schaffte), dessen Output "Metallica" im Nachhinein war. Das Experiment mit mehr Melodie sollte sich als unheimlich Erfolg versprechend zeigen. Bis dahin musste sich Bob allerdings ziemlich piesacken lassen von den die harten Macker spielenden Musikern, allen voran James Hetfield. Dessen weichen Kern Rock schlussendlich zum Vorschein bringt, indem er ihn ermutigt, über seine Gefühle zu schreiben.
Nach Abschluss des Albums, für das alle fünf (also auch Rock) Blut geschwitzt haben, will den Produzenten dennoch kein Bandmitglied mehr sehen. Ein Jahr herrscht Funkstille, bis sie wieder Kontakt aufnehmen. Die bandinternen Reibungsflächen polieren sie anno dazumal noch kräftig. Was bekanntlich nicht darüber hinweg half, dass die Situation Jahre später eskalierte und beinahe zur Bandauflösung geführt hätte. Wie Metallica – glücklicherweise – noch die Kurve kratzen und ein weiteres Album veröffentlichen, in dem sie ihre Probleme in der alten, wütenden Manier verarbeiten, konnte die Öffentlichkeit 2005 in der Doku "Some Kind Of Monster" mitverfolgen.
Eine witzige Anekdote erzählt Michael Kamen, jener Mann, der damals die Orchestrierung des Songs "Nothing Else Matters" in die Hand nahm: Er macht den Musikern den Vorschlag, ein Metallica-Konzert mit klassischem Orchester zu untermalen, worauf er aber im jahr 1991 nur ein lasches "Jaja, wir melden uns" erntet. Letztlich hört er aber doch noch von den Metallern: Ganze acht Jahre später, also zu einem Zeitpunkt, als der Vorschlag längst Patina angesetzt hat, bekommt er den Anruf mit der Aussage "Wir wollen das Konzert jetzt machen, von dem wir kürzlich gesprochen haben". Kürzlich. So ein Rock'n'Roll-Leben muss wahrlich verfliegen.
Das jedoch hoffentlich nicht zu schnell. Man will sich ja noch an aktuellem Material erfreuen. Das zur Abwechslung hoffentlich wieder an die 'guten alten Zeiten' anknüpft. Was aber hier nicht das Thema ist. Das ist die DVD-Box, die drei herausragende Alben in einer Retrospektive beleuchtet. Dabei bringt sie mehr oder weniger die Umstände ans Tageslicht, die für die jeweilige Band in einer bestimmten Phase ausschlaggebend waren, als sie einen Klassiker schufen. Allen Fans, die mehr über die Hintergründe der Entstehung dieser Scheiben erfahren wollen, sei diese Box ans Herz gelegt. Ganz aktuell sind die einzelnen Filme zwar nicht mehr (immerhin wurden sie 2001 produziert), das tut dem Unterhaltungs- und Informationswert zum Glück keinen Abbruch.
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