laut.de-Kritik
Der Tod und die Leichtigkeit des Seins.
Review von Giuliano BenassiAls erstes ertönt ein knarzendes Feedback. Nach etwa 40 Sekunden setzt eine gezupfte akustische Gitarre ein, anschließend führt ein engelhafter Frauenchor die mit Hall angereicherte Stimme Margo Timmins ein. "She took his dentures from his mouth and placed them in her own / Took a showel from the shed and then dragged him from their home," singt sie am Anfang von "Open." "I Did It All For You" ist ein Lied, das gut zu einem David-Lynch-Film der düsteren Art passen könnte.
Ein klassisches Cowboy-Junkies-Album, könnte man also meinen. Ja und nein, denn seit ihrer letzten Studioveröffentlichung "Miles From Our Home" aus dem Jahre 1998 hat sich einiges geändert: Sie bzw. Bandleader Michael Timmins produzieren sich selbst, die Veröffentlichung erfolgt wie zu Anfangszeiten wieder über das eigene Latent Label, das Material ist live erprobt, was zu einer spürbaren Kompaktheit und Eingespieltheit führt. Und sie sind inzwischen fourtysomething. "Open" ist eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, erklärt Gitarrist Michael Timmins, der wie gewohnt alle Stücke selbst geschrieben hat. "Im Grunde handelt das Album davon, morgens um drei aufzuwachen und mit einem Mal zu verstehen, was es heißt, eines Tages sterben zu müssen."
Eine Eingabe, die wohl entgegengesetzte Gefühle erweckt: einerseits die Bedrohung des Dunklen, anderseits eine fast fröhliche Leichtigkeit des Seins, Aspekte, die sich beide auf dem Album wiederfinden: sind die ersten fünf Lieder textuell wie musikalisch eher düster (beispielhaft ist dabei ein Titel wie "Dark Hole Again"), beginnt der zweite mit einem Meeresrauschen und besteht aus Stücken, die gar versöhnlich wirken, so "Small Swift Birds," "Beneath The Gate" und "Close My Eyes."
Erstaunlich an dieser Platte ist ihre rockige Ader: Die Meister der leisen Töne haben den Lautstärkeregler am Verstärker entdeckt und daran rumgeschraubt, was zu mitwippenden Liedern wie "Bread And Wine," "Upon Still Waters" - sogar mit richtigem Gitarrensolo - und "I’m So Open" geführt hat. Noch erstaunlicher ist, dass man es gar nicht so wahrnimmt: die Stimme Margo Timmins klingt auch dann ruhig und hypnotisch, wenn sie sich (für ihre Verhältnisse) von der röhrenden Seite gibt.
"Count all wounds that brought you here / Lay your blessings end to end / Rid yourself of all regrets / because here is where it all begins," heißt es in "I’m So Open." Das Leben beginnt erst mit 40, ist wohl die eher klischeehafte Aussage des Albums. Bei den Cowboy Junkies hört man sich diese Mitteilung allerdings gerne an, und wenn am Ende der Klang der Wellen wieder in das eröffnende Feedback übergeht, weiß man, dass das letzte Kapitel auch bei ihnen noch nicht geschrieben ist.
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