laut.de-Kritik
Schrecklich schöner Post-Punk aus Wien.
Review von Connor EndtNeblige Synthesizer-Flächen, monoton brummende Bassläufe und schrammelnde, verzerrte E-Gitarren – das hat man irgendwo schon mal gehört, oder? Auf dem Debütalbum der Wiener Band Culk klopfen die Achtziger penetrant an die Tür. Und auch wenn Culk ganz ordentlich in den Schubladen von Post-Punk und Shoegaze wühlen, sind sie mehr als ein bloßes Zitat der bekannten Genre-Vertreter.
Das liegt vor allem an Sängerin Sophie Löw, die über eine charakteristische, nuschelnde Stimme verfügt. Sie versteht es meisterlich, beim Singen die Worte zu dehnen und einzelne Silben zu verschlucken. Dazu liefert sie Texte, die im Gedächtnis bleiben, etwa im Opener "Begierde/Scham": "Sie sieht ihn nicht an, er will, dass sie muss, sie tut es ohne zu sehen." Culk beschwören hier ein kammerspielhaftes Beziehungsdrama herauf, dessen Ausgang offen bleibt. Die vier Österreicher*innen beweisen sich als große Meister darin, das Unausgesprochene für sich sprechen zu lassen. "Begierde/Scham" ist gleichzeitig das mit Abstand stärkste Stück auf der Platte.
Es folgen die Songs "Faust I" und "Faust II", die inhaltlich aber nichts mit Goethe zu tun haben. Vielmehr handelt auch "Faust I" von Abhängigkeiten und Machtstrukturen: "Krall dich fest mit deiner Faust / Verschling' mich sanft / Ich will und kann nicht mehr raus". Wenn dieser Text dann mit murmelndem Gesang und dramatischen Tom-Fills untermalt wird, liegt der Vergleich zu Joy Division nicht fern.
Zusammen mit sanften Gitarren und luftigen Synthesizern gleitet man hinüber zum Instrumental-Song "Faust II". Schlagzeuger Christoph Kuhn hält hier eindeutig das Zepter in der Hand, während sich seine Bandkollegen im noisigen Soli an seinen Grooves entlang hangeln. Irgendwo zwischen Tagtraum und Mexican Stand-Off-Melodien steigert sich die Band in ein fulminantes Ende.
Bei "Salvation" wechseln die Lyrics ins Englische., was einen nach dem einlullenden "Faust II" etwas heraus reißt. Zweisprachige Songs auf einem Album sind immer eine Geschmacksfrage - bei Sophie Hunger funktioniert das Konzept zum Beispiel gut. "Salvation" scheint in sich selbst gefangen zu sein, da die Melodie endlos lange geloopt wird. Das passt perfekt zum Songtext, der von Selbstzweifeln und Depressionen handelt. Nur Löws gedehnter Gesang wirkt hier stellenweise leider viel zu melodramatisch. Bedeutungsschwangere Zeilen wie "Attentive, seductive, tender, conscious, humble, honest" (Auszug) versprühen einen Hauch von Poetry Slam.
Eine angenehme Überraschung ist "Chains Of Sea", zu einem flotten Walzer-Rhythmus gesellen sich groovende Stoner-Riffs. Die Disko-Trash-Synths, die sich später hartnäckig einschleichen, verlagern den Song dann von der Wüste in die Achtziger-Disko. Mit "Vollendung" wechseln Culk wieder zum nuscheligen Wiener Slang mit einem so traurigen und sehnsuchtsvollen Song, dass es einen beim Hören fast zerreißt. Dazu kommt der clevere kompositorische Schachzug, die Melodien nach langem Songaufbau zu einem Doubletime-Beat nochmal durchzuschredddern. Wenn Löw dazu immer wieder "Die Vollendung" schreit, hat das schon viel vom Freistrampeln aus alten Zwängen. Und das ist das Schöne an Culks-Debüt: die Lyrics sind so unkonkret, dass sie sofort Bilder im Kopf erzeugen.
Eigentlich hätte hier schon Schluss sein können. Aber Culk schieben am Ende noch "Velvet Morning" nach, hoffnungsvollen Garage-Rock, der das gerade einmal 29 Minuten lange Album voller Drama mit versöhnlichen Tönen enden lässt. Die Textzeile "Come closer and bleed" steht programmatisch für das Erstlingswerk der Wiener*innen. Kommt näher und hör dir unsere schrecklich-schönen Songs an!
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