laut.de-Kritik

Die nächsten 500 Kilometer geradeaus in Richtung Polarmeer.

Review von

Lasst mich nicht lügen, aber ich trete hier ein bisschen außerhalb meines Elements an: Cult Of Luna sind Post-Metal-Routiniers, die mich in den vergangenen Jahren immer wieder abgeholt haben, weil sie einen schönen atmosphärisch Mix aus paganer Waldeinsamkeit und cineastischem Sternengucken bieten. Ersteres suche im Black Metal, Zweiteres im Post Rock, passt also gut: Die letzten vier Alben der Schweden habe ich im stillen Kämmerlein genossen, ohne eine besonders redselige Meinung dazu zu fassen. Mein Eindruck deckte sich da mit dem Querschnitt aller Reviews, die man unisono zum letzten Jahrzehnt Cult Of Luna findet: Die machen das schon gut, was sie machen. Aber ein bisschen verbietet auch der Respekt, das zu formulieren, was man dann immer höflich mit dem 'Trademark-Sound' erklärt. Man könnte fast argwöhnen, da entwickele sich gar nicht so viel.

Also, Lagebericht: Was passiert auf "The Long Road North"? Die 80 Minuten Laufzeit kann man sich so vorstellen, als würde man einen einsamen, düsteren Roadtrip durch die skandinavische Nacht in Richtung Polarmeer unternehmen. Um uns herum Nadelwälder, undurchschaubar, über uns die Milchstraße, denn die unberührten Nordwipfel Europas hat der Lichtsmog noch nicht so recht im Griff. Auf und ab schwappen nun Wellen aus mal aggressiver, mal stiller Depression, der wir uns durch die Länge dieses Waldbads ganz bewusst aussetzen.

Dieses Fantasie-Szenrio denke ich mir übrigens nicht aus. Gütesiegel-Vocalist Johannes Persson fasst das Setting beim Titeltrack mit den Zeilen "The heart directs me north, always / Where the sky erupts with colours" ganz ähnlich zusammen. Lässt man sich darauf ein bisschen ein, bekommt die berühmte Cult Of Luna-Dynamik hier eine narrative Funktion, die mir bei früheren Alben ein bisschen gefehlt hat. Ja, die Kosmopolis-Referenzen sind fun und sehr kultiviert, sehr smartboy, aber "Vertikal" und "Mariner" versinken mir auf Dauer ein bisschen zu arg im nerdigen Science-Fiction-Kitsch.

"The Long Road North" dagegen hat emotional starke Knochen. Der Intro-Brecher "Cold Burn" setzt in medias res ein: "Breathe into the harrowing wind / To uncover truths hidden by snow" heißt es da, und der Protagonist des Albums fühlt sich an wie an der Schwelle des Zusammenbruchs. Übrig bleibt nur noch die Flucht raus aus dem Kunstlicht, rein in die Natur. Und boy, macht dieses Album einen fantastischen Job, die Natur in Schönheit und Horror einzufangen. Der Song selbst weidet sich in einem malmenden Riff, das hypnotisch variiert wird, die Rhythmen treiben wie die Hexen ums Feuer, die Melodien lullen ein: Der erste Song verlässt die zivilisierte Logik direkt in Richtung eines paganen Ab-Orts. Man wähnt sich schon so tief in den Wäldern, dass man nicht mehr weiß, wie man zurückkommen sollte – und plötzlich macht das Album es uns dort sehr gemütlich.

Zwischen mehreren cineastisch rumpelnden Zehnminütern öffnen die kürzeren Songs Atempausen. Mariam Wallentin gibt auf "Beyond I" eine sehr "The Miraculous"-eske Vocal-Performance her und der Hereditary-Filmkomponist Colin Stetson rundet das Album mit Lovecraft-schem Cosmic Horror-Synthwerk ab. So schwappt die Spannungskurve weiter und weiter, bis man sich am Ende dieses kathartischen Trips gänzlich von Menschenwerk abgewendet hat.

Wie viel Spaß das machen kann, zeigen lange Nummern wie der zehrende Hinterland-Malmer "An Offering To The Wild", der zwar sein dominierendes Riff nicht unbedingt an unvorhersehbare Orte entwickelt, aber verdammt schöne Gitarren-Untermalung und Synth-Ornamente findet. Manchmal schaffen sie es, dass die akustischen Details wie Wolfsgeheul, mal wie Sternenglitzer klingt, während der Groove die Waldfassaden im Zeitraffer vorbeiziehen lässt.

Aber vielleicht steckt darin auch die Kritik: Der Trip, den "The Long Road North" geht, ist ein schaurig schöner Schmöker, aber um es mit Taylor Swift zu sagen: "I think I've seen this film before". Gerade die kurzen Breather-Songs hätten die Chance gegeben, einen richtig radikalen Move zu machen, einen richtig verrückten Moment zu generieren, mal so richtig an die Grenzen zu gehen. Ich verstehe schon, warum all diese Rezensent:innen die ganze Zeit auf dem Cult Of Luna-Sound beharren – es gibt keinen Moment auf diesem Tape, auf dem man aus dem wohlbekannten Lull aufgerüttelt wird.

Gerade die sehr cleanen und irgendwie abgestandenen Momente von "Beyond I" oder "Full Moon" erinnern daran, dass man zwar definitiv gerade eine gekonnte Mischung aus Black Metal und Post-Rock serviert bekommt, aber die Kälte nicht so radikal in die Knochen geht wie bei Paysage d'Hiver oder Darkthrone, der Nachthimmel aber auch nicht so melancholisch schön strahlt wie bei Isis oder Neurosis.

Deshalb bleiben Cult Of Luna für mich in der Nische, in die ich sie eh schon immer hinein sortiert habe: Handwerklich meisterliches Comfort-Food, das inzwischen wahrscheinlich auch einfach zu tief in der eigenen Routine steckt, um noch einmal so richtig zu schocken. Aber ich bin mir nicht zu schade, den selben Wald mehrmals schön zu finden.

Trackliste

  1. 1. Cold Burn
  2. 2. The Silver Arc
  3. 3. Beyond I (feat. Mariam Wallentin)
  4. 4. An Offering To The Wild
  5. 5. Into The Night
  6. 6. Full Moon
  7. 7. The Long Road North
  8. 8. Blood Upon Stone
  9. 9. Beyond II (feat. Colin Stetson)

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