laut.de-Kritik
Liebeskummer, Sinnfragen und die scharfe Klinge des Battlerap.
Review von Philipp GässleinVerflucht, dieser Mann ist ein Phänomen. Hip Hop-Prediger, Emorapper, Moralapostel - jedes Grüppchen selbsternannter Kritiker hat sich im Laufe der Zeit ein eigenes Prädikat für den Glatzkopf zurechtgelegt. Und dennoch, wenn Curse ans Mic tritt, spitzt die Szene geschlossen mit angehaltenem Atem die Ohren wie amerikanische Omis bei Fernsehtheologen. Wenige ernten von derart vielen Gruppen Respekt für ihr Lebenswerk, niemand ist so universell begabt wie er.
Wenn der Mindener heute mit Samuraischwert auf dem Cover ans Mic tritt, ist es ein wenig, als sei er nie weg gewesen. Durch tiefes In-sich-gehen erworbene Weisheiten, gepaart mit der messerscharfen Klinge des Battleraps, dafür steht Curse wie der verwunschene Apfel für Schneewittchen. Auch das nächste vertonte Beziehungsende ("Wir erwarten zuviel") berührt noch ebenso sehr wie "Hassliebe" vor gut fünf Jahren. Nicht wegen falschen Mitleids oder peinlicher Betroffenheit, vielmehr ist es die fast greifbare Ehrlichkeit, die in der Luft liegt, sobald Kool DJ GQs Beat aus den Boxen dröhnt. Intelligent wie er ist, folgt aber sogleich die Selbstreflexion auf dem Fuß. "Ich liebe jede meiner Exfreundinnen, denn ohne sie hätte es diese Tracks nicht gegeben." Ob ihnen das ein Trost sein wird?
Der bouncende Punkt ist, dass Curse sich eben nicht durch permanentes Tränenvergießen auszeichnet. Natürlich erzählt er mehr aus seinem Leben als andere, natürlich nutzt er die Musik ungewöhnlich oft als Sprachrohr seiner Seele. Doch zeichnet nicht genau diese Eigenschaft einen Vollblut-Musiker, nein, -Künstler aus? "Ihr wollt mir sagen, gebt den Leuten doch das, / was sie wollen, doch ich hab immer das, was sie brauchen, gemacht", betont er zu Beginn von "Gegengift", in dem er a capella eindrucksvoll sein musikalisches Selbstverständnis klarstellt. Wer einmal versucht hat, seinen Herzschmerz mit "Feuerwasser" zu bekämpfen, weiß verdammt gut, was er damit meint.
Curse lässt sich jedoch nicht von irgendwelchen Musikdogmen begrenzen. Der Träumer, permanent im inneren Struggle mit Liebeskummer und Sinnfragen, kann nämlich auch batteln wie Van Damme in Blood Sports. "Ich habe kein Problem mit Battlerap – Ich mag nur keinen Rap ohne Sinn", eröffnet er seinen Beitrag zu RZAs Europafeldzug. Nun lässt sich sicherlich darüber streiten, ob Samys x-te dämliche Platitüde gegen die herrschende politische Elite diese Bedingungen erfüllt, aber so technisch versiert, wie sich die beiden altgedienten MCs präsentieren, kann man "Broken Language Reloaded" zumindest nicht die Daseinsberechtigung absprechen – zumal der Beat von D/r Period Ärsche kickt wie Uwe Seeler einst Bälle.
"Ich kann kämpfen gegen 10 Mann, aber vor mir selbst habe ich Angst" – keine Phrase könnte Curse musikalisches Schaffen besser zusammenfassen als diese Zeile aus "Heilung". Es ist ein Fluch, sich zu oft mit seinem Inneren beschäftigen zu müssen. Vielleicht ist sein Name doch nicht zufällig gewählt. Und ehrlich wie er ist, macht Curse in "Mein Leben" anderen Rappern klar, dass sie keinen Grund haben, wegen ihrer ungerechten Kindheit so viele Tränen zu vergießen, dass die Mikrofone kurzschließen: Man kann alles bekämpfen, verdrängen, hassen, aber nichts auf der Welt schützt vor der eigenen Intelligenz.
Wer könnte also in einer Zeit, in der Eltern ihren Sprösslingen nicht mehr vermitteln als die Bedienung der TV-Fernbedienung, und in der Religiosität bedeutet, den Papsttod als Countdown herunterzuzählen, heranwachsenden Rapfans weniger aufdringlich den Zeigefinger vorhalten als der Mindener? Und er nimmt seine Verantwortung durchaus ernst. Warnt er in "24" vor Leichtsinn gegenüber der Aids-Problematik, ist das deutlich effektiver als ganze Regenwälder, bedruckt mit roten Schleifen und lustigen Kondombausätzen für Stofftiere und Flugzeuge. Und wenn er sich in "Gangsta Rap" an die gesamte Szene, Schaffende wie Konsumenten, wendet, wird Überfälliges auf den Punkt gebracht. Curse will kein Moralapostel sein, aber Menschenfreund genug, um Kids die Trennlinie zwischen fiktiven Wunschphantasien und realistischem Zusammenleben aufzuzeigen. Berufsskeptiker werden auch diesen Track freudestrahlend blutig ausschlachten, aber wer nimmt die schon ernst?
Eine der wichtigsten Gestalten der deutschen Musikszene lässt die wartende Fanschaft und Szene endlich wieder an seinem Gedankenleben teilhaben, und er erfüllt alle Erwartungen. Tolle Battletracks, technisch on top, eine spezielle Form von Romantik, die man fühlen muss, um sie zu verstehen, eine geballte Ladung Selbstreflektion, mit einem Gänsehautfaktor, die MC Rene wie ein weinendes, Tagebuch schreibendes Schulmädchen aussehen lässt.
Kritikern schleudert der Mindener in "Struggle", einem der zahlreichen Höhepunkte der Platte, ein ehrliches "Ich sag' zu ihnen: Ich kann nur sein, was ich bin. / Ich kann nur fühlen, was ich fühl, und genau das schreib' ich auch hin" entgegen. Ein Dankeschön für eine der besten und vor allem bewegendsten Rapplatten des Jahres. Ganz ehrlich.
107 Kommentare, davon 71 auf Unterseiten
Zitat (« Ein Dankeschön für eine der besten und vor allem bewegendsten Rapplatten des Jahres. »):
Ein tolles Review...aber warum bekommt diese LP dann "nur" 4/5 Punkten?
Schwer nachvollziehbar, der Autor lobt das Album in den höchsten Tönen. Zumal die 2 Vorgängeralben Innere Sicherheit (http://laut.de/lautstark/cd-reviews/c/curs…) und Von Innen Nach Außen (http://laut.de/lautstark/cd-reviews/c/curs…) beide die volle Punktzahl bekommen haben.
Meiner Meinung nach toppt dieses Album beide vorherigen und hat auf jeden Fall 5 Punkte verdient. Alles andere ist unverhältnismäßig.
um ehrlich zu sein, vermutlich weil es verschiedene redakteure waren. und weil der redakteur zu "sinnflut" zur zeit des releases gerade von einer mindestens so dummen schlampe verlassen wurde, wie curse ex eine war, und daher kaum ertragen hat, das album zu hören.
ach ja, die beats findet er stellenweise auch etwas mau. der redakteur zu sinnflut würde vermutlich keiner curse-scheibe 5 punkte geben. wobei das jetzt eine aus der luft gegriffene behauptung ist, denn er hat noch nie so genau drüber nachgedacht.
und wenn:
hast du kapiert, was da gesagt wird?
rhetorische frage.
du brauchst nicht zu antworten.
ansonsten:@IrishPhil (« dankeschön, du machst eindrücklich klar, dass man mit dir nicht diskutieren kann. gemerkt und abgehakt.
viel spass in der .bar »):
@allwissend (« @Dr. Jekyll (« Naja, ein Forum ist zum diskutieren da... nur die Meinung rausposaunen und dann bei nachfragen Schwachsinn, statt Argumente & Begründungen, schreiben - reicht dann doch nicht so ganz. »):
du hast den oberlehrer ton schon gut drauf...kein wunder dass du curse fan bist »):
Hehe... das ist das Ding, ich muss nicht unbedingt Fan von Curse oder irgendwelchen Boygroups sein, um über diese diskutieren zu können, du assoziierst es seltsamerweise nur lediglich so, wenn dir jmd. nicht sofort zustimmend auf die Schulter klopft und den Kopf streichelt, sobald du deine "Meinung" geäussert hast.
Curse ist wirklich ein zweischneidiges Schwert - auf der einen Seite macht er wirklich geniale Tracks auf der anderen aber auch wieder Lieder die ich gar nicht pack...