laut.de-Kritik
Fahrstuhlmusik für die Hölle.
Review von Rinko HeidrichMit einem brennenden Lautsprecher in einem Berliner Hotelzimmer beginnt die Geschichte von Darkside, dem Projekt von Nicolás Jaar und Dave Harrington. Sie kamen aus unterschiedlichen Genres, aber fanden literally den Draht zueinander und entwarfen Anfang der 10er Jahre ihren Bastard aus Space-Electronica und Psychedelika-Funk. Musik fürs Entgleiten in andere Sphären, durchaus ohne das Konsumieren von Rauschmitteln möglich, auch wenn die Alben von Darkside dazu förmlich auffordern.
"Are You Tired" ist formvollendetes Grateful Dead-Gegniedel, unterlegt von Jaars Ambient-Trance und energetischem Getrommel. Dieses Prinzip ist nicht neu, schließlich gingen die Krautrocker bereits in den Siebzigern diesen Weg, doch genau diese schlimme Zeit schreit förmlich nach Momenten der Komplett-Vernebelung. Verstärkt wird der Sound nun durch Drummer Tlacael Esparza, der die Band schon seit Jahren bei den Live-Aufritten unterstützt und im Geheimem immer schon das dritte Bandmitglied von Darkside war. Ihm ist es zu verdanken, dass dieses Projekt, das manchmal schon fast zu sehr im Nebel verschwindet, doch wieder eine erkennbare Struktur bekommen.
Surreal bleibt "Nothing" natürlich trotzdem und möchte bloß nicht irgendwie zu lange greifbar sein. Der Albumtitel entstand als Reaktion auf die gegenwärtige Schockstarre, mit der wir fast schon regungslos auf die Multikrisen reagieren. Genau hier möchten Darkside nicht hin und einen wirklichkeitsfremden Ort erschaffen. Wie damals zu Zeiten von Can und anderen Krautrockern, die einen Aufbruch in anderen Sound-Spähern wagten. Das komplett frei drehende "Graucha Marx" erinnert am stärksten an diese Bands, die Songstrukturen aufbrachen und sich einfach komplett im Groove verloren. Die im Grunde genommenen sehr unterschiedlichen Bandmitglieder finden in diesem Jam endgültig zueinander. Eine Ausnahme auf dem kontrolliert wirkenden "Nothing", in dem sie sich als Korrektiv des jeweils anderen funktionieren.
In dem Moment, in dem Harrington zu sehr in seinen Mucker-Kosmos abdriftet, fängt ihn Jaar mit seiner vernuschelten Geister-Vocals wieder ein. In "American References" belebt dafür Drummer mit seinen Latin-Percussion-Elementen einen merkwürdig dahinschleichenden Track. Es ist das einzige treibende Element in dem komplett entschleunigten Track, der in einer Dauerschleife in eine apathische Trance verfällt. Eine schwüle, furchteinflößende Atmosphäre durchdringt diese für Darkside fast schon harmonischen Song.
Am besten zusammen finden diese Gegensätze in dem diabolischen "Hell Suit". Eine schaudert-schöner Bossa-Nova, perfekt für die Fahrstuhlmusik in Richtung Hölle. Einerseits vermittelt es das trügerische Gefühl Harmonie und doch spürt man, dass schlimme Dinge hinter dieser Fassade lauern. Nicolas singt in höchsten Prince-Falsett über eine Person, die in einer Paranoia nur noch das Böse bereits um die Ecke vermutet. "Oh, man / What you pray? / Look out the window / It's Hell out there.". Etwas prätentiös und doch gerade deswegen um so eindringlicher.
Das sakrale "Sin El Sol No Hay Nada, zu Deutsch "Ohne Die Sonne Gibt Es Nichts", fährt dann endgültig die Raumtemperatur in den Minusbereich runter. Ein abruptes Ende mitten im Song sorgt für einen irritierenden Moment, ganz so als ob uns Darkside uns genau in dem Moment, wo wir doch in das sperrige Werk hinein finden, aus ihrem Haus entfernen und wir blinzelnd in die wahrhaftige Hölle des Alltags schauen müssen. Ein, im besten Sinne beunruhigendes Album bekommt so nicht mal ein Happy End.
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