laut.de-Kritik
Grabenkämpfe einer Fernbeziehung.
Review von Johannes JimenoWenn Daughter ein neues Album ankündigt, muss man sich erstmal mental wappnen, denn mit einfachen Themen gibt sich das Trio nicht ab. Verhandelte das Debüt Teenage Angst und Beziehungsdramen, ging es beim Nachfolger um Verlust, das Vergessen und Abschiede. "Stereo Mind Game", so suggeriert es bereits der Titel, analysiert innere Grabenkämpfe, die aufgrund von Einsamkeit, räumlicher Distanz und Abhängigkeiten resultieren.
In "Party", dem einzigen Song, bei dem es nicht um Personen geht, skizziert Sängerin Elena Tonra in bildhaften Metaphern ihr problematisches Verhältnis zu Alkohol und wie sie eines Nachts bemerkt hat, dass sie dem toxischen Tropfen eigentlich Lebewohl sagen sollte. Zudem versteckt sich im Refrain die Erklärung des Albumtitels: "She's a rattlesnake / Some stereo mind game I play with myself / Yeah, she's on repeat, throwing up memories that haven't deleted". Als stampfender und klarer Indie-Rock verhält sich der Song sehr anders als der Rest der Platte.
Das lyrische Du in Elenas Erzählungen nimmt eine Schlüsselrolle ein. Die Britin hat in den USA eine Person kennengelernt, mit der sie eine besondere, obgleich opake Verbundenheit fühlt. Eine Fernbeziehung quer über den Atlantik gleicht einem Ding der Unmöglichkeit: "I won't hold you back / Time throws us around / And there is never just one future plan / Our lifetime dreams aren't bound". Doch anstatt sich im Fernweh zu suhlen, akzeptiert Elena diesen Umstand und gibt der Hoffnung eine faire Chance: "I will meet you on another planet if the plans change / I have a feeling / That we'll repeat this evening". Zu hören in "Be On Your Way", einem Trademark-Daughter-Song, bei dem wehmütige Klangwände ein beklemmendes Setting evozieren und Tonras Stimme wohltuend zur Seite steht.
Das balladeske "Isolation" trägt ebenfalls die Melancholie spazieren, flankiert von modularer, perlender Elektronik. Elena sehnt sich erneut nach ihrer geliebten Person, doch weiß sie damit umzugehen: "Oh it will likely kill me / That I must live without you / Because I can't swim [...] I'll compose myself / I'll get over it". In "Swim Back" gewährt sie jedoch Einblicke in verschiedene Problematiken, wenn man so weit auseinander lebt. In schmerzlichen Zeilen berichtet sie, wie man zwar Kontakt hält, aber stetig im luftleeren und vagen Raum verharrt. Die zweite Gesangslinie bringt hierbei etwas Verträumtes mit rein und verleiht ihm Leichtigkeit.
"Future Lover" exerziert dieses Undefinierte, das wiederum innere Konflikte schürt: "Sweet nothings form a ghost in the room / gets so heavy when I think of you / I lie awake, always the way / it’s always a trap, the insomniac". Beat aus dem Drumcomputer, extrem verzerrte E-Gitarren und eine feine Soundcollage aus allen Einzelteilen ergeben eines der vielen Highlights auf "Stereo Mind Game".
Dazu zählt auch das bittersüße und abwechslungsreiche "Dandelion" mit ergreifendem Schönklang im Outro oder das zunächst als Gitarrenballade startende "Neptune", das sich ab der Mitte mit wabernden Bläsern und Chor zu einem einfühlsamen Indie-Folk aufschwingt. Beide Songs drehen sich um das Alleinsein und das Fehlen von nahestehenden Personen. Einige davon lässt die Band sogar selbst zu Wort kommen, wie beim Interlude "Missed Calls", das eine digital gehäckselte Sprachnotiz eines Freundes aufweist, oder im Schlussstück eine Mailbox-Aufnahme ihrer Neffen und Nichten, die in Italien leben. Eine überaus persönliche Note, die dem Album mehr Gravitas verleiht.
Auch Abschied nehmen und das Beenden von Interaktionen gehören im Leben dazu. "To Rage" spielt zwar vom Songtitel etwas mit den Erwartungen, doch Daughter umhüllt ihn mit hallenden Gitarren und dezenten Bläsern in ein gewohnt schwermütiges Kleid. Gen Ende unterstützen versöhnliche Streicher den Hörer und lassen etwas Licht ins Dunkle scheinen. Diesen Tenor nimmt der Schlussakt "Wish I Could Cross The Sea" auf und dreht die Regler auf vollen Anschlag. Alles bis dato gehörte kulminiert in einer großen Geste aus rückwärts gespielten Samples, schweren Geigen und Elenas tröstender Stimme. Es fühlt sich an wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem Wolkenbruch, die einem Zuversicht und Erlösung spenden.
Das ist auch die größte Veränderung für Daughter, dass sie nicht nur tiefe Schläge in die Magengrube verteilen, sondern nun anhand von Erinnerungen emotionales Verständnis mit hoffnungsvoller Reflexion koppeln. Tonra erklärt im Vorfeld, dass "die Texte vielleicht eine Verbindung herstellen oder sich vertraut anfühlen, und dass dies in irgendeiner Weise hilfreich ist oder ein paar Minuten Freude oder Trost bringen kann. Das wäre wunderbar". Das steht außer Frage, denn "Stereo Mind Game" versprüht gerade in dieser zermürbenden Zeit eine feingeistige Positivität, die wir alle gut gebrauchen können.
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