laut.de-Kritik
Zeitkapsel voller Fragen, Schmerz und Schönheit.
Review von Lisa RupprechtWenn "Dunkelschwarz" ein Ort wäre, dann vielleicht ein verrauchtes WG-Zimmer um drei Uhr morgens – flackerndes Licht, offene Fragen, Einsamkeit in Loops. Als Pablo Grant alias Dead Dawg das Album 2019 veröffentlichte, klang es wie ein Rückzug von der Welt. Heute, sechs Jahre später und über ein Jahr nach seinem Tod, wirkt es wie ein Vermächtnis: ein leiser Abdruck seiner innersten Gedanken, konserviert in Sound.
Am 6. Februar 2024 starb Pablo Grant mit nur 26 Jahren an einer Thrombose. Sein Tod traf nicht nur die Berliner Rap-Szene, sondern eine ganze Generation von Fans.
Sein erstes Soloalbum bleibt sein persönlichstes Werk – roh, verletzlich, verträumt. Kein klassisches Rap-Album, eher eine lose Sammlung aus Gedanken, Gefühlen und Zweifel. Hier geht es nicht um Punchlines oder Pose, sondern um das, was unter der Oberfläche liegt.
"Ich bin zu depressiv für Fame, Hype egal, gib die Snare", rappt Dead Dawg auf "Xan". Genau diese Haltung zieht sich durch das ganze Album: kein Streben nach Hype, keine Maskerade.
Als Teil von BHZ war Dead Dawg bekannt für Partytracks und jugendlichen Leichtsinn. Auf dem letzten Track sagt er: "Ich bin nicht dein Lieblingsrapper, weil ich kein Rapper bin.". Er lässt sich nicht in die üblichen Schubladen pressen. Für ihn war Musik mehr als nur Rap, ein ehrlicher Ausdruck seiner Gefühle und Gedanken, jenseits von Status oder Image.
Songs wie "Frida" oder "Amelie" klingen eher wie Gedichte, die man flüstert, wenn niemand zuhört. Auf dem ersten beschreibt er eine junge Frau, die sich in einer zu lauten Welt verliert. In "Amelie" schimmert die Sehnsucht nach Nähe, Fantasie und einem sicheren Rückzugsort durch.
"Kleiner Prinz" ist wohl das Herzstück des Albums. Die Anlehnung an das berühmte französische Märchen ist kein Zufall. Dead Dawg wirkt hier wie ein moderner Prinz, der nach Freundschaft, Sinn und einem Platz sucht, an dem er echt sein darf. Seine Verletzlichkeit steht immer im Mittelpunkt.
Auch "Physalis (feat. Zeki Aram)" klingt wie eine schwebende Liebeserklärung, "Westcoast", mit seinen Kollegen Big Pat und Monk, feiert Freundschaft und Kiffen, aber selbst da liegt Melancholie unter der Oberfläche. "Xan" wiederum spricht von Sucht, Selbstzweifel und dem Versuch, Schmerz wegzudrücken.
Auf "Beamer" stellt er naive, fast kindliche Fragen mit einer Tiefe, die hängen bleibt: "Kannst du mir sagen, wieso Bienen sterben? Wieso guck' ich auf die Uhr, ohne mein Ziel zu kennen?"
Dead Dawg arbeitete viel mit Wiederholungen und kleinen Variationen. Diese hypnotischen Loops ziehen einen tiefer und tiefer in seine Gedankenwelt, die irgendwo zwischen Eskapismus und Therapie liegt.
Er war Rapper und Schauspieler zugleich, ein Künstler, der wusste, wie man Rollen spielt — und wann man sie ablegt. "Dunkelschwarz" wirkt wie ein erster, ehrlicher Versuch, sich selbst zu erklären. Das ist kein Album für Charts, sondern eines für stille Stunden, in denen man sich selbst begegnen muss. Er sucht seinen Platz in der Welt und will gleichzeitig gar keinen Platz haben.
Musikalisch wechselt er zwischen Gitarrenloops, düsteren Trapbeats und fast kindlichen Hooks. Nicht immer wirkt alles perfekt. Manche Parts klingen unfertig oder wirr. Doch genau das macht das Album so besonders.
Sechs Jahre nach der Veröffentlichung — und über ein Jahr nach seinem Tod — klingt das Album wie eine Zeitkapsel voller Fragen, Schmerz und Schönheit. Ein Werk, das man nicht nebenbei hören kann. Ruhe in Frieden, kleiner Prinz. Deine Musik bleibt.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
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