laut.de-Kritik

Hö?! Warum wirkt das nicht wie ein Flickenteppich?

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Produceralben sind ... schwierig. In den allerseltensten Fällen werden sie den Sampler-Charakter los. Ein Rudel Vokalist*innen, oft noch aus verschiedenen Genres, marschiert auf, meist machen alle einen guten bis exzellenten Job, haben miteinander aber sonst nicht viel zu tun. Entsprechend berührungslos stehen die Tracks hinterher nebeneinander, es entwickelt sich keine Struktur, keine Story, keine Dynamik, kein Flow. Wenn sich so ein Album nicht - und wie oft passiert das schon? - auf die Instrumentals beschränkt, fühlt man sich schnell wie im Gemischtwarenladen, in dem der Mensch hinterm Tresen (respektive hinterm Mischpult) die einzige Konstante darstellt.

Die Gefahr, dass Dead Rabbit so ein Song-Sammelsurium ohne roten Faden zusammenstoppelt, erscheint riesengroß: Jeder seiner zehn Tracks fährt einen bis drei Gäste auf. Auch hier folgt auf ein Instrumental und einen Rap-Track ein knallharter Dancehall-Tune, nur um danach über noch ein Instrumental und einen weiteren Rap-Track in astreine R'n'B-Gewässer zu schippern.

Die inhaltlichen Haken, die "Deady" schlägt, fallen kaum weniger drastisch aus: Einer verlangt nach dem "Dinero", der nächste besingt salbungsvoll ein glühendes Herz, die übernächste verspricht "Ich Find Dich", und die diffuse Drohung, die in diesen Worten mitschwingt, tut dies gar nicht sooo furchtbar unterschwellig. Den Sack zu macht am Ende eine Hymne für Vielfalt Sichtbarkeit ... schön und gut, aber: Das ergibt doch alles überhaupt keinen Sinn??!

Nach dem x-ten Durchlauf versteh' ich immer noch nicht richtig, warum "Deady" nicht wirkt, als habe Dead Rabbit da über Monate (wahrscheinlich sogar über Jahre) hinweg eine Patchwork-Decke zusammengequiltet, über deren unruhigen Mustermix allenfalls diejenigen hinwegsehen können, die mit den verarbeiteten Fetzen irgendeine nostalgische Erinnerung verbinden. Gar nicht! "Deady" klingt viel mehr von vorne bis hinten stylish.

Obwohl Dead Rabbit - als produzierende Kraft hinter Green Berlin - bestens vernetzt ist, lässt er die V.I.P.-Karte stecken. Auf Marteria/Marsimoto oder ähnliche Pop-Prominenz wartet man vergebens. Wobei: Man wartet eigentlich ja nicht. Die statt dessen geladenen Gäste lassen den Gedanken, irgendjemand könnte fehlen, gar nicht erst aufkommen. Dabei muss man sich bei etlichen zunächst einmal ergooglen, mit wem man es überhaupt zu tun hat.

"Kein Problem": Savvy flowt Seite an Seite mit Dissy derart souverän, dass geradezu paradox erscheint, dass der nicht längst eine etablierte Größe im hiesigen Rap-Zirkus ist. Schwarz (nein, nicht der!) tönt in "Heart Glow" wie die junge Sade. Bay-C, "the bass voice of Jamaica" aus den Reihen von T.O.K., tritt in "Underground" die Tür zur Dancehall ein und vermittelt eine Ahnung davon, dass D-Flames angeblich ach so unikate Stimme so einzigartig vielleicht gar nicht ist. Eher schon die von Shelly Phillips, die in "Ich Find Dich" selbst Leute um den Finger wickelt, die mit R'n'B-Klavierballaden erst einmal wenig anfangen können.

Wanja Janeva klingt ebenfalls topp, leider ist die Ansammlung von Glückskeks-Weisheiten, die sie da in "Du Bist Genug" von sich gibt, kaum auszuhalten: schade um den schönen Beat. Stimmlich am vielseitigsten präsentiert sich der alte Hase Roger Rekless. Warum der immer noch gar so tief unter dem Radar fliegt: ein Mysterium, genau wie das nach wie vor ungelöste Rätsel, was genau "Deady" denn nun davor bewahrt, wie ein Flickenteppich zu wirken.

Ehrlich? Ich weiß es nicht. Es muss wohl einfach doch an diesen durch die Bank grandiosen Beats liegen. Die strecken ihre Tentakel zwar in unterschiedlichste musikalische Richtungen und Genres aus, gehen mal als Rap, mal als Ragga, mal als R'n'B durch. Sie bleiben dabei doch stets so eingängig-poppig, dass einerseits Mainstream-Publikum noch problemlos andocken kann. Andererseits bergen sie genug Details und Referenzen, um auch Genre-Nerds bei der Stange zu halten.

Überall gibt es etwas zu entdecken und dahinter gleich eine weitere Schicht auszugraben. Während man noch einer schwelgerischen Streichermelodie oder einer sich durchs Bild schlängelnden Bassline nachhängt, hat mat die gedämpften Bläser oder das knockentrockene Drum-Intermezzo schon fast verpasst.

Synthies oder Piano oder eine Handvoll elektronisches Klickerklacker oder Hi-Hat-Geticke: Dead Rabbit verbaut all das und mehr zu reichhaltigem, geradezu sämigen Sound. Satthören kann man sich daran trotzdem nicht, weil jeder neue Durchlauf eine weitere, bislang unbemerkte Facette offenbart.

"Deady" würde, angefangen beim knapp eineinhalbminütigen Opener "Blessings" durch alle Anspielstationen hindurch bis zur Abschlusskundgebung "Wir Sind Viele", auch dann keine Sekunde langweilen, wenn da kein einziger Gast zur Party erschienen wäre. Ein größeres Lob kann ein Produceralbum kaum einfahren. Soll Dead Rabbit seine Lorbeeren ruhig großzügig teilen, verdient hat er sie alle ganz allein.

Trackliste

  1. 1. Blessings
  2. 2. Kein Problem
  3. 3. Dinero
  4. 4. Heart Glow
  5. 5. Underground
  6. 6. Changeover
  7. 7. Milwaukee
  8. 8. Ich Find Dich
  9. 9. Du Bist Genug
  10. 10. Wir Sind Viele

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