laut.de-Kritik
Die strenge Göttin des Todes legt den Finger in die Wunde.
Review von Daniel StraubWie eine strenge Göttin des Todes schaut Diamanda Galás uns vom Cover ihrer aktuellen Platte "Defixiones: Will And Testament" entgegen. Die tief liegenden, dunkel umrandeten Augen und die blasse Haut des Gesichts von einem pechschwarzen Leichentuch umhüllt und begrenzt, singt Diamanda Galás gegen das Vergessen an. Sie erhebt Klage im Namen derer, die längst alle Fürsprecher verloren haben und macht "Defixiones" so zu einem Stück erinnerter Geschichte.
Das Andenken Verstorbener hochzuhalten, zieht sich wie ein roter Faden durch die Veröffentlichungen der amerikanischen Performancekünstlerin, Komponistin und Sängerin, bildet eine Konstante in ihrem mehr als zwei Dekaden umfassenden Schaffen. Zwischen 1986 und 1988 widmet sie die Album-Trilogie "The Divine Punishment", "Saint Of The Pit" und "You Must Be Certain Of The Devil" den Opfern der lange Zeit totgeschwiegenen Aids-Epidemie.
"Defixiones: Will And Testament" nimmt sich eines anderen blinden Fleckes der Zeitgeschichte an: dem von Türken begangenen Völkermord an den Armeniern, Assyrern und Griechen zwischen 1914 und 1923. Erst in den letzten Jahren wurde der Mantel des Verschweigens und Vergessens allmählich von dieser Tragödie gezogen. Nun legt Diamanda Galás wortgewaltig den Finger in die Wunde, erweist den Opfern der Gewalttaten ihren Respekt.
Für die meisten der 17 eindringlich dunklen Songs greift Diamanda Galás auf literarische Vorlagen zurück, die sie jeweils im Original in ihre Musik einarbeitet. Ob deutsch ("Todesfuge"), griechisch ("San Peqanw Sto Karabi") oder englisch ("Orders From The Dead") spielt nur eine untergeordnete Rolle. Verbindendes Element aller zitierten Schriftsteller bildet vielmehr die Erfahrung des Exils, und so steht der von den Nazis verfolgte Paul Celan neben dem italienischen Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini und dem armenischen Intellektuellen Siamanto, der im August 1915 ermordet wurde.
Schwermut und Trauer macht sich schnell breit, allein schon beim Blick ins aufwendig gestaltete Booklet der Doppel-CD. Schwermut und Trauer sprechen auch aus den Songs, die Diamanda Galás mit unter die Haut gehender Eindringlichkeit und Würde intoniert, lediglich begleitet von Klavierakkorden, vorsichtig eingesetzten Drumparts und ein wenig elektronischer Stimmungsmalerei.
Der Intensität von Diamanda Galás' Musik kann sich niemand auf Dauer entziehen. Beinahe schon erdrückend wirken die unter dem Titel "The Dance" zusammengefassten ersten sechs Songs des Albums auf die Zuhörer ein. Finstere Visionen laufen vor dem inneren Auge ab, die auch beim zweiten Silberling von "Defixiones" unvermindert auf einen einwirken und aufwühlen.
So ist man am Ende froh, wenn der letzte Track durch den Kopfhörer kriecht. "Defixiones" ist eine CD für seltene Anlässe, was die musikalische Qualität und die moralische Intention jedoch in keiner Weise schmälert, schließlich muss ja nicht jede CD gleich auf heavy rotation laufen.
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