laut.de-Kritik
Ein Sturm, dem auf halbem Wege die Puste ausgeht.
Review von Dominik Kautz"Nur noch niveauloser Schlager, primitiver Einheits-Pop oder hirnverbrannter Gangster-Rap! Was ist bloß aus der deutschen Musikszene geworden? Das macht mich richtig wütend" kotzt sich Die Happy-Sängerin Marta Jandová vor der Veröffentlichung von "Guess What" mit Blick auf die Charts aus. Zugegeben: Diese Behauptung mag zwar etwas hyperbolisch wirken. Die damit verbundene Ansage "entgegen dem allgemeinen Trend ein echtes und ehrliches Rockalbum zu schreiben" klingt nach dem bereits sechs Jahre alten und ziemlich ruhigen "Everlove" aber durchaus vielversprechend.
Um die Platte so authentisch wie möglich und ohne Erfolgs- und Zeitdruck beim Songwriting umzusetzen, veröffentlicht die Ulmer Pop-Core- und Alternative Rock-Fraktion die neue Platte erstmals über Bullet Records, dem Label von Gitarrist Thorsten Mewes. Die Orientierungsmarke: Das 2001er Debüt "Supersonic Speed". In der Tat klingt "Guess What" dank des Neuffener Produzenten Udo Rinklin wieder schön kraftvoll, roh und direkt. Der Erneuerungsprozess greift aber auch in das Bandgefüge ein. Zusammen mit ihrem langjährigen Kumpel und ex-Bakkushan-Gitarrist Robert Kerner wachsen Die Happy für den kreativen Prozess und Liveshows vom Quartett zum Quintett an. Die Zeichen stehen also wieder auf Sturm.
Tatsächlich geben Die Happy mit dem Opener und Titelsong "Guess What" von Beginn an ordentlich Gas und hauen einen äußerst druckvollen Rocker samt eingängiger Melodieführung raus. Spätestens wenn Marta den energiegeladenen Refrain äußerst ausdrucksstark in das Mikro schreit, wähnt man sich zurückversetzt in die frühen 00er-Jahre. "Kiss Me" rockt ebenfalls treibend nach vorne und stellt mit den zentralen Worten "When the pop kills rock'n'roll / we care" das selbsterklärte Ziel der Platte vor. Vielleicht nur ein seltsamer Zufall, dass das direkt auf diese Aussage folgende, explosionsartige Riff eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Hauptmotiv des Titelsongs von Panteras "Cowboys From Hell" aufweist.
Mit der Single "Here I Am" heben sich Die Happy vom bisher dominierenden, stark rocklastigen Sound ab und bewegen sich in deutlich poppigere und luftigere Gefilde. Aufgrund fehlender Spannungskurve wirkt diese Verschnaufpause allerdings leider irgendwie etwas beliebig. Immerhin: Die Happy nutzen die Single für eine sehr humorvolle #stayathome-Aufforderung. Da der ursprünglich für das letzte Märzdrittel in Berlin angesetzte Videodreh im Zuge der Beschränkungen aufgrund von Covid-19 abgesagt wurde, erstellte jedes Bandmitglied bei sich zuhause kurze Filmclips, die in Summe das Musikvideo ergeben.
Selbstverständlich kommt auch "Guess What" nicht ohne die für Die Happy obligatorischen Herzschmerz Power-Balladen aus. Allerdings klingen sowohl "Story Of My Life" als auch "Love Suicide" wesentlich harmloser und gleichförmiger, als ihre Titel es vermuten ließen. Das einem verstorbenen Freund gewidmete "Letter To A Friend" bleibt ebenfalls emotional blass und somit wenig mitreißend. Dem entspricht auch der Text mit furchtbar unmotivierten Versen wie "Some days were good, some better / depending on the weather". So transportiert man jedenfalls keine glaubwürdige Hommage an einen offenbar treuen Weggefährten. Leider erreicht keiner dieser Tracks das Ohrwurmpotential von "One Million Times", nach wie vor die Die Happy-Ballade schlechthin.
Diese Tracks stehen stellvertretend für die Schwäche des Albums. Die Happy knüpfen zwar mit "Guess What" wieder an ältere Zeiten an, einigen Songs aber fehlt es melodisch und textlich über den Verlauf des Albums einfach an lockenden Momenten und damit zunehmend auch an Biss. Auch bei "Trippin'" und "Die My Baby" führt ein gewisser Vorhersehbarkeitsfaktor eher früher als später zu Abnutzungserscheinungen.
Letztlich reißen es, neben den anfänglich Rockern, dann die Songs heraus, in denen plötzlich unerwartete Momente für Spannung sorgen. "No Tomorrow" etwa fordert dazu auf, nach einer gescheiterten Beziehung nicht in einem Loch zu versinken, sondern lieber auf den Putz zu hauen und das Leben zu feiern, als gäbe es kein Morgen. Entsprechend treibend und packend geht es dann auch musikalisch wieder zur Sache. Neumitglied Robert Kerner setzt dem Stück zum Ende mit einem famosen Solo dann noch die Krone auf. Es geht doch.
Den größten Überraschungsmoment liefert der Fünfer mit dem imponsanten "Give Me A Break", dem insgesamt vielfältigsten und besten Track der Platte. Die eigenständige Mischung aus Queens Of The Stone Age-Riffing zu Beginn, sanfter Post Rock-Atmosphäre mit hallgetränkten Gitarren in den Strophen und der eruptiven Steigerung zum kraftstrotzenden Klimax überzeugt ad hoc. Vor allem Marta zieht hier stimmlich alle Register. Bei ihrem leidenschaftlichen geschrienen Abschluss "Give me a fucking break" klingt sie dann plötzlich sogar fast ein bisschen wie Skunk Anansie-Sängerin Skin à la "What You Do For Love". In Zukunft bitte mehr solcher Kaliber.
Den eigenen Anspruch, ein ehrliches Rockalbum zu schreiben, erfüllen Die Happy mit "Guess What" durchaus solide. Vor allem die Leads von Neuzugang Robert Kerner stehen der Band richtig gut und bringen ein neues, erfrischendes Element in den etwas angestaubten Sound. Zu echter Weiterentwicklung trägt dies allerdings nicht bei. Etwas mehr Mut zum Ausmerzen von Schwächen im archetypischen Baukastenprinzip des Songwritings hätte dem Album deutlich besser gestanden. Vielleicht brauchen und wollen Die Happy das ja aber auch gar nicht. Guess What? Freunde der alten Schule mit einem gewissen semiotischen Retroempfinden werden sich über die Platte freuen.
1 Kommentar mit einer Antwort
Macht schon.. Spaß. Erinnert mich stark an Radio-Pop. Könnte also gut auf betreffenden Stationen laufen und ich wäre froh, mal etwas anderes zu hören als Dancehall-Beats.
Das Cover ist aber einfach nur fantasielos. Minimalismis muss Charakter haben. Das versteht diese hippe junge Szene nicht.
hippe junge Szene? Bei Die Happy?