laut.de-Kritik

Mama, habt ihr damals wirklich so blöd ausgesehen?

Review von

"Ob unser letzter Beitrag, meine Damen und Herren, etwas mit Kultur zu tun hat, das möchte ich ihrem geneigten Urteil überlassen".

Es ist nicht überliefert, ob die einführenden Worte des lustigen Schnauzbartträgers wirklich auf die Hosen gemünzt sind. Ein Ausdruck des damals herrschenden Zeitgeistes wäre der Spruch aber ganz bestimmt: Opa erzählt vom Krieg. Nicht ganz. Der Opa ist gar keiner, sondern - wenn überhaupt - ein Onkel.

Onkel Campino kommentiert mit Großonkel Dr. Faust, seines Zeichens Busfahrer, Roadie und Matrone für alles, die Olle Kamelle "3 Akkorde Für Ein Halleluja". Die Dokumentation über die Hosen, die nach dem ersten großen Erfolg "Ein Kleines Bisschen Horrorschau" erschien, gab es bislang lediglich als VHS-Kassette und ist jetzt endlich auf dem schmucken Medium DVD erhältlich.

Da klopfen sich die beiden Geschichtenerzähler schon in den ersten 20 Minuten so oft auf die Oberschenkel, dass mörderische Hämatome die logische Konsequenz sein müssen. Nun ja, blickt man auf die Aufnahmen von damals (Holla, jetzt ertappt sich schon der Rezensent dabei, von der Prä-Wir Sind Ein Volk-Ära zu schwadronieren), bleibt ein munteres Schmunzeln kaum aus. Schließlich sehen die Jungs der Hosen zu der Zeit um einiges fertiger aus als heute.

Die Zeiten haben sich jedoch geändert. Zum Glück muss man sagen. Ja klar, 80er-Bashing ist zwar out, doch auch im Falle der Toten Hosen darf die These im Raum stehen, dass es sehr wohl ästhetischere Jahrzehnte gibt, die man sich anschauen möchte, als das alte Zeugs da aus der Zeit Helmut Kohls.

Trotzdem kommen die gezeigten Ausschnitte fast ausnahmslos sympathisch rüber. Da sieht der jüngere Zuschauer wohl noch seine Eltern im Publikum pogen. Die Frage "Mama, habt ihr damals wirklich so blöd ausgesehen?" muss sich der/die eine oder andere durchaus gefallen lassen.

Campino bringt aber genügend Selbstironie mit, dass er nicht in den Habitus verfällt, verklärt über die eigene Bandgeschichte zu schwafeln. Kritische Anmerkungen zum Instrumenten-Design ("Das hat er sich doch anfertigen lassen, das ist nicht mehr R'n'R für mich") zeugen von gesunder Distanz zur eigenen Vergangenheit.

Ganz hervorragend die Parts, in denen die Hosen in engeren Kontakt mit den Herren Ordnungshütern kommen. Ja, liebe Kinder, ihr mögt euch das kaum vorstellen, aber Campino und Co. hatten in den 80ern Auftrittverbot in diversen deutschen Städten, unter anderem auch in der Geburtstadt des Autors. Eine Gefahr für Recht und Ordnung der Republik stellen die Hosen heute wohl nicht einmal mehr für den erkonservativsten Betonkopf dar.

Weitere hörenswerte Zitate: "Es ist nicht immer rübergekommen, was wir da meinten". Das ganz sicher. Zumindest kommt so mancher TV-Auftritt dem Etikett banaler Schwachsinn ziemlich nahe. Desweiteren: "Jetzt frag ich euch mal ehrlich: Man hat uns immer den Vorwurf gemacht, wir hätten viel getrunken. Jetzt frag ich euch: Kann man so was ertragen, ohne zu trinken? Das ist doch grauenhaft."

Ach was. Die Aktionskunst mit Fab Five Freddy im Suppentopf der Hosen-Kannibalen bei Formel Eins ist ganz sicher eines der unbestrittenen Fernseh-Highlights in Deutschland, Breakdance-Performance im Lendenschurz inklusive. Zumindest bestätigen die beiden Geschichtenerzähler den Eindruck, den ich damals vom Freiburger Club Crash hatte. Welcher das ist? Selbst reinschauen.

Trackliste

Doku mit folgenden Titeln

  1. 1. Rock'n'Roll
  2. 2. Opel-Gang
  3. 3. Verschwende Deine Zeit
  4. 4. Liebesspieler
  5. 5. Wort Zum Sonntag
  6. 6. Reisefieber
  7. 7. Disco In Moskau
  8. 8. Willi Muss Ins Heim
  9. 9. Hofgarten
  10. 10. Liebeslied
  11. 11. 1000 gute Gründe
  12. 12. Das Altbierlied
  13. 13. Wir
  14. 14. Halbstark
  15. 15. Hier Kommt Alex
  16. 16. Hip Hop Bommi Bop
  17. 17. Teenage Rebell
  18. 18. Eisgekühlter Bommerlunder
  19. 19. Happy Metal
  20. 20. Bis zum bitteren Ende

Extras: Audiokommentare von Campino und Dr. Faust

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