laut.de-Kritik
Vielseitige elektronische Tanzmusik mit Kopf und Herz.
Review von Martin TenschertJens aka 'Jence' und Isi von Digitalism wurden bereits in jungen Jahren in das Wolfsgehege Musikindustrie geworfen. Frühe Hits wie "Zdarlight" oder "Pogo" bildeten neben weltweiten Tourneen und Releases auf bedeutenden Labels wie Kitsuné den Grundstein für den großen Ruhm. Dennoch umgibt die beiden eine erstaunlich bodenständige und lockere, gar selbstironische Aura.
Neben den gefeierten Live Shows mit Jens am Mic und Isi an Drums und Reglern frönt das Duo immer noch seiner ursprünglichen Leidenschaft, dem Auflegen. Und das mit ihrem legendären 'Zwei Kopfhörer & ein-Eingang'-System. Sie beschäftigen sich ebenfalls mit aktuellen Releases und verhelfen nationalen Top Tracks, wie etwa letztes Jahr "Rave" des Dresdners Gunjah, mit ihren Powerplays zu internationaler Bekanntheit.
Zum Glück haben sich die Jungs aber auch immer noch der Produktion eigener Musik verschrieben, die eine angenehme Entwicklung von punkigem Electro zur "Weltdisco" hin erfahren hat. Ähnlich wie bei DJ Sets von Digitalism erwartet einen aber auch auf ihrem neuen Werk "Mirage" eine Vielzahl von Stimmungen und Einflüssen.
Die Vergleiche mit Daft Punk mussten sie schon seit Längerem nicht scheuen. Doch seit die Franzosen eher in trüben Pop-Teichen fischen und Digitalism mit Tracks wie "No Cash" den dreckigen French House in seiner Hochzeit wieder heraufbeschwören, ist der Drops gelutscht. Natürlich sind die Produktionsweisen ausgefeilter, die Prozesse professioneller geworden über die Jahre. Trotzdem findet man eine angenehme Punkpatina in den Tracks von "Mirage". 15 mal "Bass, Beats & Melody", wie Brooklyn Bounce weiland dichteten.
Der Trend zur Hymne ist "Arena" in die Wiege gelegt. Schöne Filter-Spielereien, dreckiger Synth, Vocoder, derbe fett. Musik für den Porsche Turbo, das Stadion, den See. Radio und Rave müssen sich nicht unbedingt ausschließen. Und das ganz ohne peinlich, Chapeau. Lieber Giorgio Moroder, hättest du mal lieber die Herren Moelle und Tüfekci bei deinem "Comeback" als Berater herangezogen.
Daft Punk, Moroder, ja is denn heut schon Größenwahn? Mitnichten, denn Tracks wie das Space Disco referentielle "Indigo Skies" beweisen, dass Digitalism zur absoluten Elite gehören. Es gehört einiges dazu, Emotionen und Harmonien so cool zu verpacken. Die Gänsehaut droht, chronisch zu werden, anhand dieser Ausnahmenummer, die wiederum Jean Michel Jarre gefallen würde (der darf übrigens von mir aus gerne weitermachen).
Lückenfüller sucht man auf "Mirage" vergeblich, "Dynamo" packt die Technopeitsche aus, sägt derbe rein, fiept und bratzt. Sing uns das Lied von Acid. "Mirage" erinnert ja vom Titel her an schale Las Vegas-Shows mit verzweifelten EDM-DJs. Jens und Isi haben das genaue Gegenteil erschaffen und dem Namen zu neuen Ehren verholfen: "Mirage" bedeutet ab jetzt: Eklektische, vielseitige elektronische Tanzmusik mit Kopf und Herz.
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