laut.de-Kritik

Konsumkritik und Fast Food: für jeden was dabei.

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Seit zwei Alben warten wir darauf, dass Disarstar endlich sein gesamtes Potenzial entfaltet. Mit seinem dritten Release "Bohemien" kommt jedoch langsam die Frage auf: Warten wir vielleicht vergebens?

Dabei lässt der Einstieg eigentlich Gutes hoffen: "Wie Im Rausch", ein klassischer Boombap-Banger, besitzt eine lässige Dynamik, die gespenstisch gut mit Disarstars Stimme harmoniert. Er flowt entspannt über den Beat und erzählt die klassische Rap-Geschichte: "Ey, ich hab' geackert wie ein Tier dieses Jahr, nur damit es nie wieder so wird wie es war / jetzt ist Sonne, hier auf meinem Planeten." Inhaltlich erfindet er zwar das Rad nicht neu. Trotzdem bleibt der Opener angenehm im Ohr und schürt die Hoffnung, dass Disarstar sich vielleicht über Albumlänge an klassischeren Beats versucht hat.

Pustekuchen. Die restlichen neun Songs auf "Bohemien" verlieren ihren Charakter irgendwo zwischen Radiotauglichkeit, Deutsch-Pop-Gedöns und der Nummer-Sicher von Großproduzenten. Ebenso die Features: Mit dabei sind mit Philipp Dittberner, Kaind und Lina Maly ausschließlich Singer/Songwriter, die allesamt nett belanglos vor sich hinsäuseln. Präsenztechnisch bildet Blinker eine Ausnahme. Der harmoniert dafür aber leider weder stimmlich besonders gut mit Disarstar, noch hat er besonders viel zu sagen.

Was durchaus Bedauern auslöst: Der Hamburger hätte nämlich eigentlich wirklich etwas zu erzählen. Wie auch schon auf seinen Vorgängeralben "Kontraste" und "Minus X Minus = Plus" beweist sich Disarstar zwischen intelligenten Beobachtungen, Gesellschaftskritik und persönlichen, emotionaleren Geschichten. Da gibt es (immer noch) diese Ex, von der er sich (immer noch) nicht so richtig losreißen kann. Aber Disarstar wirkt auf "Bohemien" erwachsener, mehr mit sich und der Situation im Reinen. So spricht er auch über die "Dunklen Wolken" in einer aktuelleren Beziehung oder von den eher missmutigen Gedanken seiner Generation, ohne dass es jammernd klingt.

Seine "linke Natur" thematisiert Disarstar ebenfalls wieder. "Alice Im Wunderland", ein scharfzüngiger Anti-AfD-Song, richtet sich hauptsächlich an die Parteivorsitzende Alice Weidel: "Dass du dich nicht schämst, Alice, bringst Arme gegen Arme auf, aber was weißt du schon von Problemen, Alice / geh' lieber nach Hause und genieß' deinen Reichtum, Alice / behalt' den neoliberalen, rassistischen Scheiß für dich." Ebenso berechtigt: "Was soll die Deutschtümelei, Alice? / Du zahlst deine Steuern in der Schweiz, Alice!"

In "Robocop" wettert Disarstar gegen Polizeigewalt, die sich vor allem gegen Links richtet, und entwirft dabei karikierende Bilder: "Der Wasserwerfer ist mein Batmobil, und ich roll' mit der Gang durch die Hood." Auch "Riot" widmet sich eher aufrührerischen Gedanken, die Disarstar inhaltlich ansprechend verpackt. Wäre da nicht diese furchtbar klischeebehaftete, regelrecht anbiedernde musikalische Untermalung, die dem Rapper nicht nur seine Authentizität raubt, sondern auch jegliche Sympathien seitens des Hip Hop-affinen Hörers.

Noch ein Manko: "Nike's x McDonald's", ein wahrhaftig weirder Track. Mit der Vorkenntnis von Disarstars eigentlich eher konsumkritischer Haltung könnte der Titel eigentlich implizieren, dass es sich hierbei um einen kritischen Song handle. Ist er irgendwie ... aber nicht. "Alle woll'n ein Haus am See, Kohle und gut aussehen, ich will Schuhe und 'ne große Pommes." Da der Song auch noch als zweiter auf dem Album gelistet ist, bleibt über die gesamte Spielzeit ein ziemlich verwirrendes Geschmäckle zurück.

Was der Pressetext dazu zu sagen hat, macht alles noch schlimmer: "'Du kannst den Song am Ballermann hören, wenn du sturzbesoffen bist, und es ernst meinen, dass du nichts brauchst außer Nike's & McDonald's, du kannst das aber auch reflektieren und denken: Okay, wir sind schon ganz schön bescheuert', kommentiert Disarstar zu 'Nike's x McDonald's' – ein Song, der exemplarisch zeigt, was ihn als Rapper so stark und interessant macht: Seine Musik funktioniert auf mehreren Ebenen, ist inhaltlich dicht am Puls der Zeit [...]"

Klartext: für jeden was dabei. Selbst für den Konsumkritiker, der gern Fast Food isst und überteuerte Schuhe (wegen des Logos) kauft. Wenn auch ungewollt, fasst das Disarstars Dilemma ziemlich passend zusammen: Eigentlich hat der mittlerweile 24-Jährige wirklich etwas auf dem Kasten. Er kombiniert harmonischen Flow mit fast immer intelligenten Zeilen. Trotzdem macht er sich nur zur Marionette der Vermarktungsvorstellungen eines Majors. Leider.

Trackliste

  1. 1. Wie Im Rausch
  2. 2. Nike's X McDonald's feat. Blinker & Philipp Dittberner
  3. 3. Hoffnung & Melancholie feat. Philipp Dittberner
  4. 4. Dunkle Wolken feat. Kaind
  5. 5. Ich Hab Dich
  6. 6. Alice Im Wunderland
  7. 7. Riot
  8. 8. Robocop
  9. 9. Wach feat. Lina Maly
  10. 10. Alles Okay

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