laut.de-Kritik
Beinahe springt der Funke über.
Review von Markus BrandstetterEin Synthiearpeggio, ein Drumcomputer, geachtelte Bassdrumschläge: "I'll boil easier than you / Crush my bones into glue / I'm a go-getter / The system's in red / The room is inbred / I'm a go-getter", singt Tom Smith, und man denkt natürlich an Joy Division, wie sein Bariton in die wummernde Synthlandschaft hineinklingt. "No Harm", beim Refrain gleitet er in die Kopfstimme, hat man bereits unvermittelt und versteckt auf einem Sampler ihrer Plattenfirma PIAS entdecken können, nun ist also das zugehörige Album von Editors da.
"In Dream" möchte experimentell daherkommen, aber auch seinen Pop-, um nicht zu sagen Stadionappeal nicht vernachlässigen. Dieser zeigt sich gleich beim zweiten Track, "Ocean Of Night", der mit einem eingängigen Klavierlick beginnt. Da mag Tom Smith so getragen klingen, wie er will: der Ozean der Nacht bewegt sich sanft, aber bestimmt in Richtung massenkompatiblem Hochglanz und steigert sich gegen Mitte in Klangsphären, die sowohl Chris Martin als auch Brandon Flowers gut gefallen dürften.
Editors haben viele Brücken gebaut, viel kombiniert auf "In Dreams", Experiment, dunkle Wellen und Stadion, Pophooks und Klangkino. So sehr die Band eine dichte Atmosphäre erzeugt, abwechslungsreich durch die zehn Songs (exklusive Bonustracks) führt, so sehr hat sie leider auch auf etwas nicht Unwesentliches vergessen: Richtig große Klangkulissen machen im Pop nämlich meistens nur mit richtig großen Songs Spaß. Die ganz großen Songs, die sind auf "In Dream" leider nicht zu finden.
"Salvation" beginnt mit dermaßen opulenten Streicherbögen, das man kurz den ganz großen Stadionknaller vermutet, da nimmt die Band die Dynamik zunächst beinahe gänzlich runter, geht ganz langsam wieder nach oben, und doch vollzieht der Song irgendwie die finale Zündung nicht, scheint nicht so ganz zu wissen, wohin er will, und hält somit das letzte Quäntchen an Feuerwerk zurück.
"Life Is A Fear" bewegt sich dann sehr nahe an Depeche Mode: definitiv einer der stärksten Tracks. Überhaupt ist es nicht so, dass "In Dream" nicht streckenweise nahe an die Einlösung dessen, das es verspricht, herankommen würde. Der Schlusstrack des Albums, "Marching Orders", birst geradezu vor großer Melodie, Pathos und Dynamik: "The fire, the fire", singt Smith, beinahe springt der Funke über. Aber eben nur fast.
So bleibt es bei großflächigen Klangexperimenten und stilistischer Vielfalt, nur auf den wirklichen Burner, auf den großen Moment, auf den wartet man auf "In Dream" leider vergeblich.
10 Kommentare mit einer Antwort
Sehr experimentell aber trotzdem eingängig ! Orientiert sich eher wieder an "In this light and on this evening" durch viele Elektronische Einflüsse . Im Gesamtwerk mM eine gute Platte ! Finde auch nicht dass sie, wie in der Rezession beschrieben wurde, zu sehr Richtung Mainstream bzw. Stadionrock schielt. Bin mal gespannt auf die Liveperformance der neuen Songs .
Ocean Of Night fehlt in der Tracklist (Track 2)
sonst gefällt es mir nach 3 Durchläufen bisher ausgesprochen gut, die Alternativen Versionen der Songs gefallen mir ein Stück weit besser als die Finalen Albumtracks, was daran liegen mag, dass sie In This Light.... sehr nahe kommen. kein schlechtes Album jedenfalls und eher weiter weg von Mainstream als bisher, Stdionrock habe ich zumindest, wie n4pst3r nicht raushören können.
Ich durfte es mir Anfang der Woche live anhören und war von den neuen Songs schwer enttäuscht. Klingen für meine Ohren oft unfertig, die Lyrics wiederholen sich zu sehr, es steckt wenig substanz drin.
Meiner Meinung nach wenn überhaupt nur oberflächlich mit "In this light..." zu vergleichen, das ich großartig fand.
Der Drall in den Stadionbereich hat sich ja schon auf dem letzten Album angedeutet. Serh schade, dabei sind sie so eine gute Live Band...
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
Nach der, zumindest meiner Meinung nach, äußerst missratenen LP "The weight of your love", die auf jeden guten Song mindestens zwei Totalausfälle folgen lies, wurde ich hier angenehm überrascht. Stadionrock-Allüren, geistige Verbrüderung mit Coldplay und generelles Schmuserock-Gehabe wurden hier löblicherweise für einen etwas zurückgenommeneren, sphärischen Klang eingetauscht, Gitarren sind oftmals nur rudimentär vorhanden. Für mich genau die richtige Entscheidung, da ich "ITLAOTE" atmosphärisch umwerfend fand, wären da nicht teilweise haarsträubende Lyrics hineingeworfen worden. "In Dream" orientiert sich ja offenbar stark an diesem Album, aber diesmal stimmt sowohl das Timing der Songhöhepunkte, die Lyrics sind wunderbar schwelgerisch über den Synthie-Sounds schwebend arrangiert, ohne dabei vor allzu viel Pathos über Bord zu gehen ("außer vllt Marching Orders & Ocean of Night, für mich die einzigen Songs, die ich etwas halbgar finde") und die melancholisch-hymnische Atmosphäre ist grandios. Auch die deutlichen Einflüsse aus dem Bereich des Ambient wurden scheinbar mühelos eingearbeitet, dafür alleine schon ist ein großes Lob fällig. Als Fazit bleibt für mich der beste Darkwave-Synthie-Pop übrig, den ich dieses Jahr vernehmen durfte und definitiv ein Album, das sich in meinen Top-10 dieses Jahres wiederfinden wird.
*ließ
Nach mehr als zwei Jahren noch immer ein Album, das bei mir nachwirkt. Wenn sich die Editors in ferner Zukunft einmal auflösen, wird man sich wohl vor allem an Backroom, ITLAOTE und In Dream erinnern. Drei Meisterwerke auf ihre eigene Art und Weise.