laut.de-Kritik
Fesselnd gute Platte einer der wichtigsten Bands unserer Zeit.
Review von Philipp SchiedelDie Neubauten waren schon immer ein bisschen anders als der Rest. Und Anderssein ist Grund genug, zum zwanzigjährigen Jubiläum (ihre erste Platte "Kollaps" wurde 1981 auf den Markt geworfen) eine Best-Of der letzten zehn Jahre zu machen. Was anfangs seltsam klingt, macht nach dem Hören der Platte aber durchaus Sinn.
Die musikalische Zeit in den Jahren 1991-2001 hat mit dem Anfang der Berliner nur noch wenig gemeinsam. Selten wird man mit Krachorgien, die das Hören zum Durchhalte-Test machen, konfrontiert, von den einst so Neubauten-repräsentativen Betonbohrer-Aktionen ist gar nichts mehr übrig geblieben. Man gibt sich "poppig" und kompatibler, manche Songs sind sogar von der Radiospielbarkeit nicht weit entfernt. Daran ist das zunehmende Alter wohl nicht ganz unschuldig, die wilden Zeiten scheinen auf "Strategies Against Architecture" endgültig vorbei zu sein. Anstatt in U-Bahn Schächten, tritt man jetzt vor koksenden Thirty-Somethings auf, die gerade von der Kunstausstellung ihres Kumpels in einem überteuerten Penthouse in Daimler-City kommen und sich dort Bilder von verrottenden Gasflaschen angeschaut haben. Diese Kunstwerke kann man sich im wunderbar gestalteten Booklet des Digipacks anschauen, das allein schon den Kauf der Platte wert ist.
Trotz ihrer Poppigkeit sind Herr Bargeld und seine Freunde natürlich immer noch groovy sophisticated und verwirren mit ihren Texten den Kopf des Hörer gehörig. Bei 90% der Lyrics sinkt die Ahnung, wovon der Typ singt doch schnell Richtung Null. Aber das ist gut so. Man muss die Sache auch gar nicht verstehen, denn sonst stünde die Band ja nicht einige Stufen über dem Hörer und man würde nicht die ganze Zeit denken, was für erhabende Künstler sie doch sind. Das ist bei einer Einstürzende Neubauten Platte wichtiger als man annehmen mag.
Die zehnjährige Neubauten-Werkschau schüttelt und rüttelt den Gehörnerv nicht durch, sondern umschließt das Gehör und nimmt es vollkommen ein. Um mit der Platte etwas anfangen zu können, muss man sich hinsetzen und zuhören. Nebenbei Abspülen ist wahrlich nicht drin. Sobald man sich aber auf die Musik etwas eingelassen hat, wird es schwer, den Stop-Knopf zu drücken. Fesselnd gute Platte einer der wichtigsten Bands unserer Zeit.
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