laut.de-Kritik
Erstmals zeigt sie das Potential, das in ihr steckt.
Review von Sven KabelitzFast auf den Tag genau vier Jahre liegt Elise LeGrows Debüt "Playing Chess" zurück. Ein guter, aber nicht überragenden Longplayer, der mit Cover-Versionen auf die Veröffentlichungen des Labels Chess zurück blickte. Ja, wir haben seit zwei Jahren eine Pandemie, die vieles erschwert. Trotzdem wirken die gerade einmal sieben Stücke auf "Grateful" nach dieser Zeit schon wirklich mager. Irgendwie zu viel für eine EP, aber zu wenig für ein wirkliches Album.
Am Sound hat sich nur wenig verändert. Sie bleibt dem Retro-Soul treu, der in Zeiten von Amy Winehouse seine Blütezeit hatte. Nur liegt das 2006 veröffentlichte "Back To Black" eben auch schon bald 16 Jahre zurück. Im Grunde finden wir auf "Grateful" demnach Retro-Retro-Soul, der ohne große Weiterentwicklung seit damals auskommt.
Der größte Unterschied zwischen "Playing Chess" und "Grateful" liegt aber nicht im Sound. Cover-Versionen müssen diesmal draußen bleiben. Alle Lieder sind neu, bei allen war LeGrow am Songwriting beteiligt. Etwas, was man schon im ersten Moment des einnehmenden Openers "Feel Alright" merkt. Ihre Performance auf dem Vorgänger war weit entfernt von schlecht, doch hier liegt sie hörbar mehr an der Seele.
Ihre kraftvolle, mit einem kleinen Kratzer versehene Stimme erinnert dabei immer wieder an die ganz großen Namen wie Adele, wobei der Vergleich zu Winehouse alleine schon wegen des Umfelds allgegenwärtig bleibt. Ein Vergleich, dem LeGrow stand hält und trotzdem nicht zur bloßen Kopie verkommt.
Ausgerechnet in dem seinen Kopf tief in Melancholie hängenden "Drinking In The Day" kommt die Kanadierin der verstorbenen Britin erschreckend nah. Dabei stellt der Track einen Aufruf an die wahren Kerle da draußen dar, sich bei Herzschmerz nicht von Geschlechterklischees bestimmen zu lassen. "Oh babe, don't say that it's alright / Stop fighting like a man, just because you can / You're drinking in the day, shaking from the way / Sometimes it's good to cry, cry cry cry cry." Glaubt dieser Frau, hört auf zu saufen und lasst die Tränen fließen. Es ist günstiger und gesünder.
Das nachfolgende Titelstück "Grateful" bleibt der Thematik erst einmal treu: "I've had my share of whiskey / ... / I never said i was a role model / Had some nights i drank the whole bottle." Die Stimmung bleibt ähnlich, doch mischt LeGrow Gospel unter. Nach dem Verlust des in "Evan" besungenen Freundes findet LeGrow einen dankbaren Blick auf das Leben. "I never said I was great, but I'm grateful / For every memory that came and went / For every failure, every accident / For every moment that i get to spend / For every day i get i'm glad to live." Das munter auf und ab springende "Better Side" führt abschließend zurück zur sonnigen Seite, auf der uns "Feel Alright" zu Beginn abholte.
"Playing Chess" mag Elise LeGrows erstes Album gewesen sein, doch erst das mit dem dem Produzententeam Theron "Neff-U" Feemster (Eminem, Mary J. Blige) und Brian West (Maroon 5, Nelly Furtado) entstandene "Grateful" fühlt sich wie ihr wahres Debüt an. Erstmals zeigt sie das wirkliches Potential, das abseits von Cover-Versionen in ihr steckt.
Als einziges Manko bleibt die kurze Spielzeit von gerade einmal 24 Minuten. Alle sieben Songs überzeugen vollkommen und zeichnen ein nuancenreiches Bild der Künstlerin. Da bleibt am Ende lediglich die Frage, was man lieber mag: Ein Album geschmackvoll beenden und so die Lust auf mehr wecken - oder es mit zehn weiteren Fillern zustopfen? Na, also.
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