laut.de-Kritik
Wie geht man mit Hitler um?
Review von Giuliano BenassiNach dem Franzosen Albert Camus und dem Briten Lord Byron nimmt sich der Singer/Songwriter aus Pennsylvania nun eines deutschen Schriftstellers an. Wie gewohnt nach eingehender Auseinandersetzung mit dem Werk und dem Leben des Autors.
Von den dreien war Heinrich Böll vermutlich am schwierigsten zu fassen. Eric Andersen geht es in diesem kurzen Album allerdings nicht nur um den Kölner Autor, sondern vor allem um Adolf Hitler. Sein Begleittext versucht sich an einer Erklärung, was Deutschland im zweiten Weltkrieg angestellt hat und welche Folgen die desaströse, destruktive, Menschen verachtende Politik des Nationalsozialismus hatte. Dass Andersen heute ähnliche Tendenzen sieht, ist nachvollziehbar, doch wollen wir hoffen, dass die Skala, in der Hitlers Regime dachte und agierte, ein Einzelfall bleibt.
Anschaulich rahmt Andersen seine Gedanken in ein fröhliches Lied ein, das er bei einer Flussfahrt aufgeschnappt hatte. "Wenn das Wasser im Rhein gold'ner Wein wär, ja dann möcht' ich so gern ein Fischlein sein. Ei, wie könnte ich dann saufen, brauchte keinen Wein zu kaufen, denn das Fass vom Vater Rhein würd' niemals leer", singt Petra Münchrat, die Frau von Labelchef Werner Meyer, mit hoher, nostalgischer Stimme, begleitet von einem Akkordeon.
In starkem Kontrast dazu Andersens tiefes, verlebtes Organ, das im zweiten Stück von Köln 1945 handelt. "Silent Angel" war der englische Titel von Bölls frühem Roman "Der Engel Schwieg", der erst 1992, sieben Jahre nach seinem Tod, erschien. In einer Kirche entdeckt ein desertierter Soldat eine Statue, die inmitten der Trümmer auf wundersame Weise intakt geblieben scheint. Erst als er sie genauer betrachtet, stellt er fest, dass es sich um einen Engel handelt, dessen Flügel abgebrochen sind.
Die Zerstörung kam durch die Alliierten, die viele deutsche Städte mit Feuer und Asche überzog (was einen Teil des Albumtitels erklärt), der Verursacher war jedoch der "liebe Führer", wie Andersen im folgenden Stück erläutert. "Wie geht ein Künstler mit der perversen und mörderischen Natur eines Hitler um? Indem er mit dem Finger zeigt oder mit Sarkasmus? Ich habe mich für Sarkasmus entschieden", so Andersen im Booklet. "Thank you for taking all the Cohens / To the cattle car and ramps / Thank you for the ovens / How you cooked us in the camps", dichtet er unter anderem.
"Face Of A Clown" handelt von Hans Schnier, dem Hauptdarsteller von Bölls Roman "Ansichten eines Clowns" (1963), der am Umgang seiner Familie (und der deutschen Gesellschaft) mit dem Nationalsozialismus in den Jahren nach dem Krieg zerbricht. Zerrüttet sind auch die Verhältnisse der Familie Fähmel, die in "Billard Um Halb Zehn" (1958) an die Ereignisse im Krieg zurück denkt. Andersen stellt die Frage, die nach wie vor kaum zu beantworten ist: Wie konnte es sein, dass die jüdische Bevölkerung abtransportiert und ermordet wurde, während andere zuschauten, ohne einzugreifen oder gar darüber zu reden? "They died inside death camps / But don't talk about the Jews / We were starving in our country / We Germans suffered too", versucht sich Andersen an einer Erklärung.
Zum Schluss erklingt wieder die Melodie des Wein-Rheins, diesmal ohne Text. Das Leben geht weiter, so die Botschaft. Andersen hat 70 Jahre nach dem Krieg in Köln viele Freunde gefunden. Das Album entstand mit Unterstützung, unter anderen, der Stadt Köln und der Heinrich Böll-Stiftung. Deren Leiter René Böll, einer der Söhne des Schriftstellers, war der Initiator des Projekts.
Musikalisch geht Andersen keine neuen Wege, weder bei den Melodien noch der Umsetzung mit akustischen Instrumenten. Mit 25 Minuten ist das Album vielleicht etwas zu kurz geraten, das Cover (ein Foto des Künstlers von Labelchef Werner Meyer) ist einigermaßen schrecklich. Doch hier geht es um den Inhalt, denn das Wichtigste ist und bleibt: Wir dürfen niemals vergessen.
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