laut.de-Kritik
Je älter, desto härter.
Review von Jürgen LugerthIhre etwas kitschige Brot-und-Butter-Hymne "The Final Countdown" geistert auch 31 Jahre nach Erscheinen noch durch die Playlists vieler Radiosender. Europe nur auf diesen Song oder das auch in diese Phase fallende "Carrie" zu reduzieren, wäre jedoch eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Denn nach der jugendlichen Periode, die im Jahre 1991 mit der Platte "Prisoners In Paradise" endete, folgte erst einmal eine lange Schaffenspause der melodisch rockenden Schwedentruppe, in der sich die Band mit 'Best Of'-Zusammenstellungen über Wasser hielt. 2004 überraschten sie mit dem fabelhaften Comeback-Album "Start From The Dark" und einem veränderten Stil, der viel konsequenter, düsterer und härter ausfiel als der oft schwülstige Wohlklang aus Kindertagen.
Diesen erwachsenen Sound haben Europe bis heute beibehalten. Sie ändern von Album zu Album nur mehr Nuancen und fahren gut damit. Auf ihrem neuen Werk stechen zwei Dinge besonders hervor. Zum einen fließt verstärkt eine progressive Note in die Songs ein, die manchmal dezent an komplexer ausgerichtete Kollegen wie Threshold oder gar Dream Theater erinnert. Zum anderen weisen die reichlich eingesetzten Keyboards immer wieder auf die so oft bemühten Großmeister Deep Purple hin.
Aber das ist bei den Mannen von Europe kein Problem, weil sie selbst über genug eigene Trademarks verfügen, um nicht zu einer Kopie zu verkommen. Los geht es mit dem feierlich eingeleiteten Titeltrack, der schwermütig durch die Landschaft stampft, insgesamt jedoch unauffällig wirkt. Das folgende "The Siege" weist schon sehr markante Prog-Merkmale auf und glänzt mit einem hervorragenden Gitarren-Solo von John Norum. Leider ist das Stück mit knapp vier Minuten viel zu kurz. Das hätten man gern auf die doppelte Länge ausdehnen können. Das Gleiche gilt für "Kingdom United": So viele Ideen, so kurz abgehandelt. Es scheint fast, als scheuten Europe die große Form, obwohl sie mit ihren kompositorischen und instrumentalen Fähigkeiten durchaus dazu in der Lage wären. Vielleicht kommt das ja auf der nächsten Platte, wer weiß?
"Pictures" ist eine schöne, nicht zu zuckrige Ballade geworden, "Election Day" kommt als unkomplizierter Rocker daher, bei "GTO" erinnert nicht nur die Musik, sondern auch der Gesang von Joey Tempest an Whitesnake in ihren guten Tagen und das folgende "Haze" fällt ungewöhnlich heavy aus. Europe beschließen ihr Album mit dem längsten Stück, dem feierlichen "Turn To Dust", das schon aufgrund der mächtigen Hammond-Orgel sowie einem gewissen Ritchie Blackmore-Gitarrensound sehr an Deep Purple erinnert und ein idealer Rauswerfer ist.
Somit ist "Walk The Earth" wieder ein starkes, wuchtiges Europe-Album geworden, wie es alten Rock-Hasen nun mal zuzutrauen ist. Wenn sich die Band noch etwas tiefer ins Land des Prog-Rock trauen würde, mit mehr Länge, Luft und Wagnis, könnte das ganz groß werden.
9 Kommentare
Der Name Europe ist nach wie vor der beste Garant für gesicherte Einnahmen aber auch die größte Hypothek der Band, da viele nur den F-Song mit ihnen assoziieren wollen und sich gar nicht erst die Mühe geben, die Diskographie ab Start from the Dark (mitlerweile größer als die der 80er und frühen 90er) zu sichten. Mit Ausnahme von Bag of Bones hat sich die Band noch mit jedem Album gesteigert und das gilt auch für Walk The Earth. Ich höre darauf nicht wirklich deutliche Prog-Elemente, dafür aber erdigen und "modernen" Classic-Rock (wenn es das geben kann). Ich bin mir sicher, dass kein Fan der neuen Ära das Album schmähen wird. Viele neue Anhänger wird es wohl aber zwangsläufig auch nicht rekrutieren. Was eigentlich sehr schade wäre.
Da steht zuerst *dezente* Note. Das könnte schon hinhauen. Aber sonst: Ja, die zweite Phase macht die Band erst richtig gut. "Secret Society" z.B. kann ich mir immer wieder anhören
Wegen der Empfehlung habe ich unvoreingenommen reingehört und ganz schnell wieder ausgemacht. "We walk the Earth like champions. With heart and soul, like champions." Dazu Tempest unerträgliche Stimme und wenig kraftloses Gitarrengeknödel, das stellenweise wie ein Kashmir-Abziehbildchen wirkt. Da gebe ich mir ja lieber Carrie in Dauerschleife als dieses ranzige Album. Ganz schlimm.
Toll, was sie nach all den Jahren abliefern, The Final Countdown sollte auch nicht wirklich als Masstab gelten, aber an Sylvester höen wir es alle oder ? Die letzten Alben sind super
Dieser Kommentar wurde vor 7 Jahren durch den Autor entfernt.
Also, ich muss schon sagen, Kommentare wie: "Einmal reingehört und tschüss", und ähnliches kann man sich sparen. Entweder richtig hören, ganz und ausgiebig und einen Kommentar hinterlassen... oder Fresse halten. Ich habe Europe 1986 mit The Final Countdown GELIEBT. Und wer jetzt, damals dieses miterlebt, heute über Europe lästert, sollte mal erzählen, was er seit 1986 so alles Geiles gemacht hat. Ich höre The Final Countdown auch nicht mehr seit damals und, ja, kommt es im Radio, schalte ich meistens um. Klar. Kann man nicht mehr hören. Nicht mal im Vollsuff an Silvester.
Ich hörte War of Kings bei Erscheinen als erste Europe-Scheibe seit damals und später Walk the Earth nach Erscheinen. Ich muss sagen: Europe von 1986 und heute haben (zum Glück) nichts mehr gemein. Sie haben sich weiterentwickelt, ohne langweilig und überflüssig zu wirken (Metallica und Konsorten, die, ach so cool sind). Walk the Earth ist ein HAMMER Hard Rock Album mit meiner Meinung nach psychedelischen Anklöngen und GÖTTLICHEN Gitarren-Soli. Ich gebe dem Schreiber recht: Gerne Mut zu längeren Songs, längeren Soli, längerem Allem! Ich höre diese Scheibe 1000 Mal lieber als jede neue Metallica, die - meiner Meinung nach - völlig unverdient immer noch ständig ausverkaufte Konzerte geben. Aber anderes Thema. Europe 2019? Ja Mann!!!