laut.de-Kritik

Unspektakulär im besten Sinne des Wortes.

Review von

In Interviews erklärt Faye Webster, dass ihr Albumtitel "Underdressed At The Symphony" recht wörtlich zu verstehen sei. Sie besuchte in den vergangenen Monaten eben häufig spontan Konzerte, um sich von ihrem Alltag abzulenken. Das Statement funktioniert aber auch fantastisch in Bezug auf ihre Musik: Während andere auffällige, herausgeputzte Songs produzieren, zieht sich die 26-Jährige lieber in eine subtilere, "underdresste" Vortragsweise zurück. Auf dem neuen Album bleibt sie ihrem Sound weitestgehend treu, verfeinert die einzelnen Facetten ihrer Musik aber weiter und erzeugt so eine wunderbar verträumte Klangwelt, die das große Spektakel meidet und private Eindrücke in den Vordergrund rückt.

Die ersten Töne von "Thinking About You" transportieren den Hörer unmittelbar in die Schlusssequenz eines Arthouse-Films, wenn der Protagonist mit einem Zug die Großstadt verlässt und nachdenklich aus dem dreckigen Fenster blickt. Eine unaufgeregte Begleitung aus E-Gitarren, Klavier, Schlagzeug und einem dezenten Glockenspiel liefert einen stimmigen Sound, der irgendwo zwischen Soft-Rock und Indie-Pop schwelgt. Die Verses versieht Faye mit jeweils nur zwei Zeilen, den Rest der über sechs Minuten füllt sie mit endlosen "Thinking About you"s. Gleichzeitig verspürt sie offensichtlich eine rege Abneigung gegenüber der Idee, den Song nach dem letzten Chorus zu beenden, und lässt ihn stattdessen mit einer zunehmend sedierenden Wirkung ohne viele Variationen noch mehrere Minuten lang dahinplätschern. Es ist natürlich eine heikle Gradwanderung zwischen Meditation und Eintönigkeit, sie gelingt Faye über weiteste Strecken dennoch problemlos.

Das hat auch zur Folge, dass sich auf "But Not Kiss" ein kleiner Jump-Scare einschleicht, wenn nach einigen Sekunden auf einmal krachend Klavier und Schlagzeug einsetzten und die anfängliche Ruhe aufwühlen. Abseits dieser Anomalie bleibt das Album aber im gewohnten Rahmen aus introvertiertem Singsang und unaufdringlichen Instrumentals, die sich irgendwo in den Kategorien von lockerem Rock, jazzigem Folk und Indie-Pop wiederfinden.

Fayes Texte bleiben vage und minimalistisch, es handelt sich eher um kurze Gedankenfetzten als um echte, handfeste Geschichten, wie sie etwa Phoebe Bridgers erzählt. Der impressionistische Gesang nimmt an vielen Stellen die Funktion eines weiteren Instrumentes ein, das auch einmal längere Zeit aussetzen kann. Die intimen Lyrics gewinnen durch die knappe Vortragsweise unglaublich an Gewicht, Faye singt von Einsamkeit, dem Verlassen-werden ("I wanna see you again, see this is why I’m confusing / Spending money just to feel something") und einem Wunsch nach emotionalen Bindungen ("I'm asleep in the moment you're holdin' my head / But I want you now, you're asleep when you're dead").

Wenn es auf musikalischer Ebene experimenteller wird, kehren Fayes Vocals in eine klassischere Rolle zurück. "Lego Ring" ist ein überraschendes Duett mit ihrem Jugendfreund Lil Yachty, der mit seinem wabernder Let's Start Here-Gesang das Album in völlig neue Soundwelten befördert. Das klingt erstaunlich harmonisch, vor allem, wenn beide Stimme übereinander gelayert werden. Auch inhaltlich bricht der Song mit dem tiefgründigeren Grundtenor, er handelt davon, wie gerne sie einen Lego-Ring mit entsprechendem Plastikkristall besitzen würden.

Auf "Feeling Good Today" tritt Faye mit Zeilen wie "I'm feeling good today / I ate before noon / I think that's pretty good for me / I'm gonna see my brother / He's got a new girl / But he's good at making time for me" am ehesten in die Storytelling-Sphäre ein. Im gleichen Moment tunkt sie ihre Stimme gehörig in Auto-Tune, und es wird klar, dass sie höchstens konkret werden kann, wenn ihr Gesang gleichzeitig verfremdet ist. Vor zu viel Aufmerksamkeit fürchtet sie sich auch allgemein: "I wanna quit all the time / I think about it all the time / It's the attention that freaks me out".

Wenn Faye auf dem jazzigen Dream-Pop Song "Lifetime" zum zwanzigsten Mal den gleichen Satz dahin säuselt, fragt man sich abermals, wie das überhaupt funktionieren kann. Sie züchtet ihre Songs mit subtilen Rhythmen und dezenten Betonungen trotz des vermeintlich simplen Grundaufbaus zu einer Komplexität heran, die erst wirklich deutlich wird, wenn man das Album mehrere Male angehört hat. Das nachfolgende "He Loves Me Yeah!" wagt sich in rockigere Gefilde vor, leider fehlt hier ein wenig das Feingefühl, das die anderen Lieder so besonders macht.

In "Underdressed At The Symphony" gibt sich dann endlich das namensgebende Orchester die Ehre, wenn auch nur für einen ganz kurzen Moment, um Fayes "Symphony" zu untermalen. Aber auch im restlichen Song werden immer wieder Streicher eingestreut, die flächige Produktion liefert wieder einmal dream-poppige Tendenzen, die mit dem kurzem Klavieroutro einen gebührenden Abschluss finden. "Tttttime" schlägt eine ähnliche Richtung ein, die slidy Gitarren und dezenten Strings führen die Platte mit einer träumerischen Genauigkeit ins Ziel. Das gestotterte "T-t-t-t-t-time" gibt dem Song einen unverkennbaren Charakter, der sich ab dem ersten Mal Hören in die Ohren fräst.

Auch nach Faye Websters fünften Studioalbum kommt nicht das Gefühl auf, ihre Traumwelt wäre in irgendeiner Form auserzählt oder - schlimmer noch - lethargisch geworden. Sie erzeugt vielmehr einen Safe Space, der abseits von allgemeiner Hektik und Sensationshascherei auf das Unspektakuläre abzielt, und gleichzeitig keine Abstriche in inhaltlicher Tiefe oder musikalischer Vielseitigkeit macht.

Trackliste

  1. 1. Thinking About You
  2. 2. But Not Kiss
  3. 3. Wanna Quit All the Time
  4. 4. Lego Ring
  5. 5. Feeling Good Today
  6. 6. Lifetime
  7. 7. He Loves Me Yeah!
  8. 8. Ebay Purchase History
  9. 9. Underdressed At The Symphony
  10. 10. Tttttime

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