laut.de-Kritik

Habt Mitleid.

Review von

Muss es an irgendeinem Punkt nicht gut sein? Das "CCN"-Franchise ist heute so etwas wie der komplett verlotterte Sorgerechtstreit aus der Fler-Bushido-Scheidung. Seit Jahren kommt jetzt alle zwei Jahre einer von beiden aus dem Tran und versucht, den anderen damit zu provozieren. "CCN3", "CCN4", "Cancel Culture Nightmare", die Menge absolut irrelevanter Versuche, Nullerjahre-Nostalgie noch einmal zu Geld zu machen, hat inzwischen Lore wie das Freddy-vs.-Jason-Universum. Jeder Lappen durfte inzwischen schon auf so einem Album gastieren. Es würde mich nicht wundern, wenn Archäologen in tausend Jahren aus dem Schutt Dubais ein nie veröffentlichtes "CCN3.5" mit Ali Bumaye ausgraben.

Also gut, here we go again: "5". In Zahlen: Fünf. Fünf was? Ihr wisst schon. Auf diesem Ast des "CCN"-Multiversums haben sich Saad und Fler zwischenzeitlich wieder vertragen (die Uhr tickt) und kollaborieren so herum. "Du weißt, CCN ist Familie", hebt Saad auf dem Intro "Der Deutsche Und Der Libanese" hervor. Eine so zerstrittene, wankelmütige Familie wünscht man wahrlich niemandem.

Immerhin musikalisch hält das Tape sein Versprechen. Wenn ihr denkt, dass "Nie Ein Rapper" so hart und maximal der Peak allen Deutschraps war, so dass einfach jede danach kommende Musik nur noch ein lauwarmer Neuaufguss davon sein sollte, dann ist das hier absolut das Album für euch. Man kann es ja auch nicht leugnen: Wenn man schon einen Song in alle Ewigkeit immer wieder machen möchte, könnte man bestimmt schlechter wählen als "Nie Ein Rapper". Die Stimmung des Tapes, die staubigen Samples, die Flows und die Stimmen der beiden: Es ist nicht so, als würde es nicht die richtige Stelle kratzen. Es wäre also einfach unwahr zu sagen, dieses Album sei per se schlecht. Es gibt sogar drei Tracks, die gezielt der berühmten "Nie Ein Rapper"-Snare Tribut zollen. Man bemerke Hooks wie "Ich war nie so wie sie, nie ein echter MC".

Trotzdem fühlt sich "5" blutleer an. Die ganzen Parts plätschern überaus routiniert und unaufgeregt vor sich hin. Wisst ihr schon das Neueste? Fler und Saad mögen Bushido nicht, und Shindy und PA Sports auch nicht. Es wird euch darüber hinaus schockieren, dass sie nicht einmal mit Shirin David etwas anfangen können. Hammerhart. Gut, dass die beiden im Laufe des Tapes wirklich viele gute, harte Disses ... ankündigen. Also nicht, dass es auch nur eine zitierfähige Line gäbe, aber immerhin beschreiben Saad und Fler ständig, wen sie gleich wie hart ficken werden.

Mütter, vorwiegend. Ein bisschen gibt das Tape den Vibe, als würden sie kreativ von der Fantasie deiner Tante ausgehen, für die Rap nur so dummes Müttergeficke ist, und alles unternehmen, damit sie recht behält. Interessanterweise gibt es hintenraus mit "Schwarze Wolken" und "Trauma" ein paar Storyteller mit ein paar einprägsamen Bildern und greifbarer Straßen-Melancholie, die mehr für die Samplebeat-Winterstimmung tun als die restlichen zwei Drittel des Albums mit ihrem Gossip-Aufguss. Gerade Fler hat ein paar Momente, in denen er extrem tragische Episoden aus seinem Leben sardonisch auf unterkühlte Einzeiler reduziert, in denen er durchaus eine Menge Aura als Rapper hat. Leider sind diese Momente auf dem Album nicht in der Mehrheit.

Soweit der nuancierte Teil, in dem ich lobend hervorhebe, dass Vibe und Atmosphäre, wenn auch sehr klar von der Vergangenheit inspiriert, schon irgendwie klargehen. Es würde sich falsch anfühlen, dem Album nicht zu lassen, dass es ein paar Sachen richtig macht, und damit einer gewissen Gruppe Rapfans zumindest als Hördurchgang durchaus Spaß machen wird. Mit dem aus dem Weg, können wir endlich zum Punkt kommen, in dem wir darüber sprechen, was dieses Album eigentlich für ein jämmerliches Armutszeugnis ist.

Saad ist jetzt 40 Jahre alt, Fler ist jetzt 42 Jahre alt. Ihr größter Stolz scheint, dass sie ihr ganzes Leben die gleichen dummen Vollidioten geblieben sind. Das sage nicht ich, das sagt dieses Album. Ein kleiner Bogen dazu: Es gab ja mit dem alternden Genre diese Idee von "grown man rap". Also quasi die Frage, wie ein Rapper oder eine Rapperin in die Vierziger oder Fünfziger wächst. Das muss ja nicht automatisch bürgerlich oder nett werden, aber irgendwie sollte es doch schon reflektieren, dass man irgendwann, wenn man kein Teenie mehr ist, immerhin ein paar Sachen mehr im Kopf hat als früher.

Fler und Saad haben mit dem Alter kein bisschen an Weisheit gewonnen. Ihr Rezept fürs Leben lautet: dumme Scheiße machen -> Konsequenzen für dumme Scheiße bekommen -> über die Konsequenzen heulen -> "So ist das Leben". Die Idee, die Welt sei halt so, nachdem sie kontinuierlich die gleichen dummen Entscheidungen treffen, ist für die beiden auf diesem Album wieder und wieder aller Weisheit Ende. Das hält sie nicht davon ab, Allgemeinplätze wie "Gangster lassen Gangster nie im Stich" oder "wir jagen unseren Traum" zu dreschen, egal, wie ihre allgemein bekannten Lebensgeschichten beides widerlegen.

Abgesehen davon gibt es grenzdebile Lines wie diese hier, mit denen Saad glaubt, Shindy zu dissen: "Mr. Nice guy, stockschwul, weil er fickt, bis der Arzt kommt / Was sind das für Klamotten, die du trägst / Lila Hose, pinkes Hemd: Homosexualität". Mir geht es nicht einmal im Kern um die Homophobie, auch wenn ich mir schon wünsche, dass auch Leute wie Saad irgendwann peilen, dass es ihnen doch eigentlich komplett egal sein könnte, wer wen liebt. Mir geht es einfach darum, dass dieser Mann von vierzig Jahren die Line "Lila Hose, pinkes Hemd: Homosexualität" geschrieben und mit stolzgeschwellter Brust eingerappt hat. Was für ein Vollidiot!

So dreht sich die kleine Welt von Fler und Saad weiter. Die Welt ist schlecht, deswegen muss man hart sein, und hart sein bedeutet, allen um einen herum immer so beschissen wie möglich zu behandeln. Vier Jahrzehnte hat es gebraucht, um an diesem unglaublich deprimierenden Punkt anzukommen. Wenn man einmal ehrlich über diese fleischgewordene Kreisbewegung nachdenkt - und dieses Album zwingt ja dazu - kommt man gar nicht umhin, traurig darüber zu sein. Mit dem, das diese beiden Eumel auf diesem Album predigen, werden sie nie eine erfüllende Beziehung führen. Verdammt, sie werden wahrscheinlich nicht eine ehrliche Freundschaft mit einer Frau führen, geschweige denn vermutlich mit irgendwem. Alles, das ihnen bleibt, sind ihre paranoide Existenz, ein schnelles Auto und die Aufgabe, bis in alle Ewigkeit wieder und wieder denselben Song aufzunehmen. Einen Song darüber, kein Rapper zu sein, ursprünglich einmal geschrieben von einem Typen, den sie hassen. Ein Song, der eigentlich eine Warnung sein sollte, vor all den Fehlern, die sie daraufhin zu ihrer alleinigen Persönlichkeit erklärt haben. Kann man da überhaupt noch sauer werden? Ich empfinde nur Mitleid.

So long, boys. Wir sehen uns dann in zwei Jahren wieder, sei es für "CCN6" von Fler und Animus, "Coca Cabana Nickerchen" von Saad und Laas oder "SECHS" von Bushido und Shirin David. An dem Punkt: Wen juckts?

Trackliste

  1. 1. Der Deutsche Und Der Libanese
  2. 2. Stresserblick
  3. 3. Carlo Gangster Lifestyle
  4. 4. Nie Wie Sie
  5. 5. Schnelles Geld
  6. 6. Sag Meinen Namen
  7. 7. Sonne Oder Mon
  8. 8. Sehen Um Zu Glauben
  9. 9. Lichtermeer
  10. 10. Fick Das Gesetz
  11. 11. Schwarze Wolken
  12. 12. Panoramadach
  13. 13. Trauma
  14. 14. Drive-by-Kult

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