laut.de-Kritik

Das Bewusstsein ist nur eine Haltestelle auf dem Weg in den Wahnsinn.

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Die kurze Google-Suche spukt für das Wort "Glossomanie" folgende Definition aus: " Sprachstörung mit spielerischen Wort- u. Lautneubildungen (Neologismen) ohne jede Syntax; bei Geisteskrankheiten." Unter dem Einfluss des vermeintlich wahnsinnigen Glitch im Denkprozess entsteht also etwas Neues, das ansonsten nie gedacht werden würde. Das Stück "Glossomanie" eröffnet das Debütalbum von Fraktus II, und ja, sie ahnen es, der Name manifestiert das Programm: Ein elektrifizierter Maultrommel-Sound zuckt und ruckelt da herum, später fiept und piepsen dystopische Elektrosamples im Kreis. Dazu Mutti Wand am Mikrofon: "Was heißt das? Ich versteh dich nicht? Was soll das? Was meinst du damit?"

Bernd Wand aka Jacques Palminger hatte einen Traum: Nach dem Ende der Elektropioniere Fraktus, deren Sound er konzentriert prägte, war er in seine Heimat in Brunsbüttel zurückgekehrt. Dort arbeitete er im elterlichen Optikergeschäft, gründete aber parallel dazu mit seinen Erzeugern Fraktus II. In der legendären Mockumentary erklärte der leidenschaftliche Klangtüftler und Hypochonder, dass er mit seiner Familienband unbedingt einmal auf Klangbad-Festival in Scheer aufspielen wollte, " ...denn dann hat man es geschafft."

Schnitt, ins echte Leben: Im schwäbischen Scheer sitzt seit circa zwei Jahrzehnten ein weiterer Klangexperimenteur. Auch Faust-Orgelmeister Jochen Irmler kehrte nach Jahren in England und Hamburg zurück in die Provinz und installierte am vermeintlichen Arsch der Welt eine vitale und vibrierende Keimzelle der avantgardistischen Musik. Als Irmler nun immer wieder auf das Klangbad-Shoutout in Fraktus angesprochen wurde, vermischten sich Fiktion und Realität. Irmler besuchte ein Palminger-Konzert, und aus einer fixen Idee reifte ein kaum zum begreifendes Projekt.

Zwar ist das Klangbad-Festival mittlerweile Geschichte, nicht aber das gleichnamige Label. Im Sommer schlüpfte Palminger also abermals in den Seitenscheitel, schnappte sich seine Mutti Wand und Carsten "Erobique" Meyer (noch so ein Soundpionier), fuhr für eine Woche Klangkampf in den Süden und öffnete dort den analogen Elektrobaukasten. Für eine Woche schredderten ein Roland System 100 Sequenzer Einheit, ein Wasp Synthesizer, ein Hohner-Pianet und ein Copicat Bandecho unter Volldampf, Mutter und Sohn singen dazu. Das akustische Ergebnis trägt den grandiosen Namen: "Optische Täuschung".

Darauf geht es tierisch zu: "Die Rache Der Schildkröte" entspringt einem unharmonisch tönenden Gepfeife, dazu Hörspiel, Spoken Word, losgelöst von allen Sinnen: "Aber aus der Badewanne kommen seltsame Klänge, eine seltsame nie gehörte Musik, du beugst dich herunter und hälst dein Ohr an den Ausguss. Aus dem Rohr kommen Stimmen, es sind die Gesänge der Elfen. Sie singen das Lied der Schildkröten."

Noch aberwitziger tönen nur die "Rosa Elefanten", eine ad absurdum geführtes Schlaflied, butterweich und popkornleicht. Die heimliche Hauptdarstellerin Margit intoniert die abgründigen Texte ihres Sohnes irgendwo zwischen Schnappatmung und Selbsthilfegruppe. Das ist so drüber, so jenseits von allem, das uns der Mund offen steht. So müssen die Bildungsbürger reagiert haben, als sie das erste Mal mit Dada konfrontiert wurden. Sprachlos. Begrifflos. Hilflos. Yeah!

"Das Bewusstsein ist nur eine temporäre Haltestelle auf dem Weg in den Wahnsinn!", erklärte dann auch Bernd Wand bei der Plattenpremiere in Scheer Anfang November. Als Zuhörer des Fraktus II-Debüts merkt man deutlich, wie einem die eigentlich ordnenden Begriffe wie Wasser zwischen den hilflos zupackenden Händen entgleiten und sich die Band wie eine glitschige Kröte wegwindet. Auf der Suche nach passenden Referenzen stolpert man zwangsläufig über Helge Schneider, aber stetig umgemünzt auf die Neue Deutsche Welle. Fest steht: Verstehen muss, nein, darf man das alles sowieso nicht. Fraktus II genießen es, alle Authentizität, die im Musikzirkus ohnehin eine viel zu dominante Rolle eingenommen hat, konsequent in Kleinstteile zu zersetzen.

Auf "Farben und Verläufe" schraubt Irmler magnetische Soundschrauben aus der Tiefen seines selbst zusammen geschraubten Krautrockgolems. Diese drehen sich hypnotisch, als hätte man sie auf einen überdrehenden Schraubenzieher gepinnt und sprengen das zuvor noch harmlos herum tänzelnde Fraktus-Bauwerk. Jetzt wirds richtig trippy, ein kontrollierter GAU im Klanglabor, den die Protagonisten sichtlich genießen und vollends ausschöpfen. Als Zuhörer befindet man sich in einer Art audiovisuellen Passierschein A38-Schleife, die einen so lange malträtiert und knebelt, bis man selbst jubelnder Teil von Fraktus II wird. Die finalen, nicht mehr zu beschreibenden Songmonstren "Medikation" und "Woran Denkt Der Mann" hüllen uns in samtweiche Zwangsjacken. EnteHaseEnteHaseEnteHaseEnteHaseEnteHaseEnteHase

Und eben weil Musik begrifflos erscheint, erlaubt sie eigentlich keine solche Ironie. Anders als in der bildenden Kunst finden Abstraktion, Karikatur und Naivität nur selten ihren Weg in Bandprojekte, weil die meist für mehr stehen und stehen müssen. Für Politik, für Bewegungen, für das eigene Ego. Fraktus II sprengt diese ewigen Beschränkungen mit Leichtigkeit. Und auch mit Ironie, klar, aber stetig im Parametersystem der Hoch- und Popkultur und ganz bewusst auf den Moment der aufklappenden Falltüre hin komponiert. Die Platte ist schreiend komisch, vollkommen absurd, total gaga auf so vielen Ebenen und dann doch wieder tragisch bis melancholisch in seinen unzähligen kleinen Gesten. Fraktus II muss man erfahren! Es lebe das Experiment. Es lebe Brunsbüttel. Es lebe Scheer.

Trackliste

  1. 1. Glossomanie
  2. 2. Paris New York
  3. 3. Farben Und Verläufe
  4. 4. Die Rache Der Schildkröte
  5. 5. Gute Besserung
  6. 6. Medikation
  7. 7. Woran Denkt Der Mann
  8. 8. Rose Elefanten

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