laut.de-Kritik
Die Königin von New Orleans lässt uns an ihrem Leben teilhaben.
Review von Philipp KauseIrma Thomas verzeichnete 1963 ihren bekanntesten Song "Ruler Of My Heart". Den Titel der Soul-Queen von New Orleans verpasste ihr zu Marketing-Zwecken in den 70ern eine Plattenfirma, als es kommerziell nicht so rund lief. Weit her geholt war er nicht, und niemand machte ihn ihr je abspenstig. Irma ist das Äquivalent zu Aretha Franklin, bezogen auf Louisiana. Die Amtsbezeichnung 'Queen of Southern Soul' trägt sie mit Fug und Recht, somit erhalten wir eine "Audience With The Queen". Die Begleitband Galactic lässt sich an ihrer Seite als Dienstleister betrachten, sie steht übrigens nicht zum ersten Mal mit der Königin im Studio.
Auf Irma Thomas' Art zu singen, kann sich nicht jede Formation einstellen, ohne dass es holpert. Denn die Sängerin musiziert recht speziell. Immer wieder baut sie Töne ein, die nirgends stehen, Thomas-Töne, die irgendwo in Achtelschritten auf der Tonleiterskala liegen und die man in den transkribierten Noten gar nicht sieht. Etwa, wenn sie jetzt im Song "People" vom "broken law" erzählt und ihre Stimme dabei kratzt, dann scheppern Galactic dazu reichlich smart.
Irma legte im Gospel-Chor los, als Jugendliche - wo sonst. Die Prägung blieb, fließt bis heute ein. Wenn aktuell "the whole damned world's on fire (...) and the people are tired", wie in "Lady Liberty", lautet ihre Lösung daher "God save us all!". Louisiana im Südosten der Staaten reicht in seiner Musiktradition aber weit über die Kirchenchöre hinaus. Es ist eine Gegend mit den französischen Einflüssen der Akkordeonmusik, mit Zydeco, Cajun, Swamp-Rock, den Ursprüngen des Delta-Blues an der Mississippi-Mündung, natürlich mit Dr. Johns Voodoo-Psychedelic, heute auch mit einer kleinen Hip Hop-Szene und mit einer großen Brass-Funk-Landschaft. Sowohl die Cajun-Rhythmik als auch das dreckig Verwaschene des Swamp-Style und auch die Dominanz der Bläsersätze zeichnen die Zusammenarbeit und die Arrangements von Galactic und Irma aus.
Im Blues wurzelt eh immer alles, zu vernehmen in "Over You" über einen Neustart in der Liebe nach Tränen und Trennung. "Peace In My Heart" pflegt eine gewisse mit-Sonnenbrille-im-Casino-Psychedelic, bei der man nicht so genau weiß, welche Trümpfe die Frau mit der coolen Ich-bin-hier-der-Boss-Stimme und die brodelnde Lead Guitar in der Hinterhand halten.
Und, nicht zu vergessen, ist New Orleans die - neben Memphis - nicht so bekannte Quelle für Southern Soul. Anders als in Atlanta, weniger orchestral gedacht, anders als Stax in Tennessee, weniger Bass- und Keyboard-lastig, dafür wogender im Rhythmus, siehe den Ohrwurm "Puppet On Your String", bevorzugt in kurzen, schroffen Liedern, gerne mit Fokus auf der Trompete oder mehrstimmigen Blechblas-Klangmalereien, wie hier am Ende von "Peace In My Heart". Ein schönes Stilmittel ist auch das Oxymoron der spröden, rau ächzenden Gefühlsduselei-Ballade wie in "Love's Gonna Find A Way Again".
Der Southern Soul beeinflusste vor allem in den ausgehenden 70ern und frühen 80ern weit über die Region hinaus von Huey Lewis über Joe Jackson bis Talking Heads verschiedene namhafte Leute unterschwellig, die stilistisch zwischen den Stühlen tanzten. Umgekehrt zog der (Disco-)Funk von außen nach New Orleans. Typische Wah-Wah-Gitarren mischen sich entsprechend in "Be Your Lady" mit regional koloriertem Tröten-Gebratzel. Der Text handelt auch sehr südstaatentypisch von Klapperschlangen und Zuckerrohr als Metaphern in einer Beziehungsanalyse - "mean as a rattlesnake and sweeter than sugarcane".
So lange, wie die Künstlerin schon im Geschäft ist, reichert sie einige Texte autobiographisch an. 66 Jahre lang tritt sie schon auf, unterbrochen weder durch die Corona-Pandemie noch dadurch, wiederholt von Plattenlabels fallen gelassen worden zu sein. Im wunderschönen "Where I Belong" gibt sie zu, dass man trotz Lebenserfahrung und -weisheit und Routine immer Ups und Downs erleben wird und aus den Tiefs das Beste machen muss. In Paris habe sie auf Tournee Champagner geschlürft und auch mal ihre Wurzeln vergessen oder das, worauf es ankomme, letztlich aber gespürt, wo sie hin gehöre, "Where I Belong". Ihr Zuhause bleibt New Orleans und bleibt die Musik dort. "I still have a love affair with the sound (...) and I love what I do, and I'm lovin' every minute of it". Quirlige Saxophon-Riffs zirpen dazwischen, und sie trägt ihr Erbe weiter. Der ausgesprochen entertainende Track schwingt im Feeling der Blues Brothers.
In "People" erinnert sich die Königin an die existenzielle Erfahrung des Hurrikans Katrina, der ihr so vieles nahm: "the sound of hurricane's washing on my door". Ihr privates Haus, der von ihr betriebene Nachtclub, alles schwamm davon. "I see them children born, and I watched them grow", referiert sie auf die vier Kinder, die sie noch als Minderjährige in den 1950ern zur Welt brachte und mit Kneipenjobs durchfütterte, da die Musik nicht genug einbrachte.
Irma Thomas hat eine filmreife Biographie, mit mehr Tiefen als Höhenflügen, und sie packt hier in diese knapp 33 Minuten "Audience With The Queen" nur ein bisschen davon hinein. Schlussendlich merkt man aber schon im ersten Lied "How Glad I Am", dass diese 84-jährige Living Legend über ihr Leben froh ist. Wenn sie dort im Refrain alleine so schallt wie ein ganzer Chor, dann spürt man: Dieser Frau muss man zuhören, die hat was erlebt. Ihr jüngstes großes positives Erlebnis war ein Auftritt mit Mick Jagger letztes Jahr bei einem Festival. Sie sangen im Duett "Time Is On My Side" - das Lied hatte zuerst sie aufgenommen, später übernahmen die Stones es ins Repertoire.
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