laut.de-Kritik

Vater und Sohn winseln wie zwei eingesperrte Hunde.

Review von

Kleine Zweige der Musikbranche erwirtschaften oft große Anteile des Umsatzes. Dazu zählen in Deutschland pathetische Musicals als Magneten für Städte-Tourismus, "Night of the Proms"-Shows und Klassik-Pop-Rock-Crossovers wie von Leslie Mandoki. In diesen Reigen sortiert sich auf seltsame Weise auch der in New York geborene, aber Deutsch sprechende Art Garfunkel junior ein.

Sein Erfolgsrezept besteht aus der Kombination eines prominenten Namens, einer Vorgeschichte mit Schlager, Volksmusik, Gospel und aktuell eines Dutzends Coverversionen von schon viel zu oft gecoverten Pop- und Jazz-Hits, vertont als (schwerfälliges) Easy Listening. Diese Summe qualifiziert unmittelbar für die Top 5 der Album-Charts. Art Garfunkel Jr. hat das Glück, den Vor- und Familiennamen des berühmten Vaters weiter zu führen und mit ihm zusammen zu musizieren: "Father And Son". Gäbe es "Wetten, dass..?" noch, wären Papa und Sohnemann als Gäste gesetzt, wetten?

An dieser Stelle oute ich mich gleich: Das Reunion-Konzert von "Bright Eyes"-Art Garfunkel und seinem Ex-Homie Paul Simon im New Yorker Central Park am 19. September 1981 war die Aufnahme, die ich als Kind mit Abstand am häufigsten auf dem Auto-Rücksitz hören musste. Die Ansagen aus diesem Konzert konnte ich mit acht Jahren auswendig nach Gehör aufsagen.

Betrachten wir Vater und Sohn erst mal getrennt, anhand eines Liedes, das beide mal aufnahmen: "Stille Nacht, Heilige Nacht". Der Senior coverte zunächst selten, der Junior spezialisiert sich darauf. Er vertonte den Weihnachtsklassiker 2022 als Weichspüler. Dabei hatte er die Chuzpe, im September das Lied über den 24. Dezember zu veröffentlichen. Sein Papa entschied sich zusammen mit Paul Simon anno 1966 für "7 O'Clock News/Silent Night", formal und inhaltlich zwei der wichtigsten Minuten der Musikgeschichte. Dabei gelang dem Senior eine Mischung aus Weihnachtschor, einer Nixon-Rede pro Vietnam-Krieg und Nachrichten-Schnipseln über einen Serienmörder, die Bürgerrechts-Bewegung und mehr, verdichtet auf 120 Sekunden, pure Protest-Kunst. Es herrscht ein gravierender Unterschied zwischen den musikalischen Ansprüchen von Garfunkel senior damals und heute, und zwischen Vater und Filius.

"Time After Time" geben Vater und Sohn zusammen sehr ähnlich Cyndi Laupers Original zum Besten. Zu gefühlten 90 Prozent hört man nur den Junior, was dann den Duett-Ansatz ad absurdum führt. Der Text behält Recht, "confusion is nothing new": Die beiden Garfunkels winseln wie zwei eingesperrte Hunde, die wollen, dass man mit ihnen Gassi geht. An "Time After Time" erinnere ich mich ursprünglich mal als angenehmen Song, hier jedoch wirkt er allzu insistierend und schließlich nervtötend. Um die Stimmen herum vernimmt man brave Sterilisierung, in der das 08/15-Drum-Programming nicht mit dem Orchester matcht.

"Blackbird" von den Beatles neu aufzunehmen, ist ein einigermaßen sinnloses Vorhaben. Was soll man einem so klar strukturierten Singalong schon großartig Neues abgewinnen? Manche Lieder sind zu perfekt und auch zu glatt, als dass man sie effektiv abwandeln könnte, und dann hören sich alle Covers gleich an. Hier fällt bereits auf, dass entweder die Kronen im Gebiss von Vater Garfunkel nicht gut gemacht sind, oder, falls er eine Prothese hat, diese schlecht sitzt. Jedenfalls klingen Konsonanten wie 's' und 'sh' unsauber und gelispelt, außerdem gibt es ein Kiefer-Problem bei Lauten mit 'ou'.

Der 33-jährige Junior fällt nicht wirklich charakteristisch auf. Die Klassik-Instrumentalisten passen schon, spielen aber nicht die virtuose Krönung ihres Fachs. "Blackbird" dudeln sie halt herunter. Okay, Fantasielosigkeit ist eine lässliche Sünde in der Entertainment-Industrie, mit der wir als Publikum, Konsumenten wie Rezensenten immer irgendwie zu rechnen haben. Vielleicht ist es sowieso eine billige Sache, heute noch Beatles zu covern, und hier erschöpft es sich in einem routinemäßigen Eins zu Eins-Durchwursteln. Ob McCartney solchen Fließband-Pop verdient hat?!

Bei "I Won't Let You Down" hat mich die Geduld mit diesem Album verlassen. Zunächst mal wirkt das Ganze wie Schlümpfe in schlecht. Dann handelt es sich um die planmäßige Zerstörung eines der wahrscheinlich besten Lieder der 80er. Die bekannte Ballade stammt von der unbekannten, kurzlebigen Formation Ph.D. In der überschaubaren Cover-Historie des Hits wandelte Zucchero den Text ins Italienische um, landete damit 25 Jahre später einen Riesen-Hit in seiner Heimat. Die Version der Garfunkels hingegen zerstört das Lied scheinbar mutwillig - und zwar in jeder Hinsicht. Des Seniors zahnlose, verwaschene Aussprache der Konsonanten wirkt so senil wie der stolpernde Noch-US-Präsident im Wahlkampf.

Des Juniors Stimme entgleist gefährlich. Die Mainzelmännchen könnten es besser. Das Orchester beraubt das schöne Stück seines Feuers, Background-Sängerinnen kreuzen Opernarie mit Gejodel. Es herrscht ein Zuviel von allem. Die Garfunkels ersticken das Songjuwel mit wahnhafter Überladung. Das Starke am Original war seine Subtilität und wie sich der Song allmählich steigert, der Vibrato-Gesang des mittlerweile toten Jim Diamond, das gekonnte Keyboard-Finale. Ph.D waren Prototypen für Hurts. Die neue Edition wirkt randvoll gestopft.

Dass bei Konzerten Dinge schief gehen, Soundchecks misslingen, Bands oder Tontechniker einen schlechten Tag haben - geschenkt. Aber dass ein offizieller Release aus einem Studio und bei einer Major-Vertriebsfirma so grauenvoll ist, dass es mir die Gesichtsmuskeln zusammen zieht und ich das Lied nur unter Schmerzen zuende hören kann, das ist neu. Während die Redaktion meine Bewertungen oft großzügig und zu nett findet, fehlt mir hier nun jegliches Verständnis für die Resonanz beim fleißig CDs kaufenden Publikum. Ich habe noch niemals eine so erbärmliche Studioaufnahme vernommen.

Beim Senior herrscht das Joe Biden-Syndrom vor. Er gibt den mildtätigen Beschützer, ohne den uns das verlässliche Coming Home-Gefühl fehlen könnte. So wie viele deutsche 'Experten' Biden als "letzten Transatlantiker" loben, der den Kalten Krieg erlebt habe, ist Art Garfunkel einer der letzten aus der Softpop-Generation der Siebziger, die quasi als vertonter Rollkragenpulli für eine Zeit stehen, in der man samstagabends mit der ganzen Familie fern sah und der Individualismus der Postmoderne noch Hürden zu nehmen hatte.

Während Paul Simon, 81, zuletzt bei Dion di Mucci als Gast gesichtet wurde und in der lokalen Musik des Big Apple eine ehrwürdige Größe geblieben ist, hörte man vom gelernten Mathe-Lehrer Art Garfunkel senior, 83, in den letzten Jahren wenig und vor allem in negativen Zusammenhängen. Tourneen, die gecancelt wurden, Tourneen, die trotz Stimmbänder-Erkrankung stattfanden, mit verheerenden Shows. Er trat geschmacklos und öffentlich gegen den einstigen Schulfreund Paul nach, und er brachte als Interpret sehr lange nichts Neues zustande, während Paul die Ideen nie ausgingen. Das letzte Erwähnenswerte waren die erfolgreiche Compilation "The Singer" und das Nice Price-CD-Boxset "Original Album Classics" mit fünf Original-Alben aus den Jahren 1973-81 zum Preis von einem, beide Sammlungen erschienen 2012. Seither ist Arthur ein Schatten seines einstigen Ruhms. Dem Stelldichein mit dem Sohn kommt somit eine enorme symbolische Bedeutung zu.

Ob Simon And Garfunkel beim entstellenden Klassikpop-Gesülze "Old Friends" noch Freunde bleiben (falls sie es seit kurzem tatsächlich wieder sind)? Dramaturgisch Mist, verendet die Einspielung in einer langen und zähen Instrumental-Strecke. Suchend, orientierungslos, erratisch tappen der Vorfahr und sein Spross durch den Duo-Klassiker von 1968, ursprünglich auf "Bookends". Das Falsett des Seniors punktet noch mit erstaunlichem Elan und einem seltenen Moment technischer Reinheit auf dieser Platte. Aber insgesamt kommt die Version eher wie eine Probe-Session mit Übungs-Charakter daher, als dass sie einer zielgerichteten Interpretation gleich käme.

Wenn schon der Versuch, sich selbst zu covern, brachial in die Hose geht, was hilft dann noch? An den Eurythmics scheitern die beiden Herren genauso wie am Themen-Song von Cat Stevens, "Father And Son", den sogar schon Boyzone besser drauf hatten. Wagen wir einen letzten Versuch und messen das Album am Umgang mit einem Stück Allgemeingut, bei dem von vorneherein das Covern intendiert war. "Once In A While" ist ein Easy Listening-Standard. Es gibt viele Versionen mit Schwung. Diese hier hat keinen, trottet träge. Empfohlen sei dagegen die anrührende Ukulele-Fassung von Eddie Vedder. Ella Fitzgerald flößte der relativ übersüßten Nummer einst durch leise Töne Intensität ein. Die vorliegende neue Interpretation ist kurzum überflüssig. Sie reiht sich aber passgenau in einen populistischen Gelddruck-Longplayer ein, der Musik nicht von der kreativen Seite her auffasst, sondern als Vereinfachung und schleimige Anbiederung bei einem 'Greatest Hits'-Publikum versteht.

Über die Album-Länge hinweg erweist es sich als
extrem anstrengend, der immer gleichen Sinfonie-Darbietung ein Ohr zu schenken. Dank Zuccheros aktuellem Cover-Album "Discover II" sind die Garfunkels wenigstens nicht die einzigen, die Lieder kaputt schreddern. Und immerhin ist die Verpackung stimmig. Den Küchentisch als Projektionsfläche hat nicht nur Robert Habeck erkannt - Vater und Sohn Musikus gaukeln mit ihrem Küchenkacheln-Cover-Artwork samt der beiden schwarzen Käppis die Nähe zu harmoniebedürftigen Menschen vor.

Trackliste

  1. 1. Blue Moon
  2. 2. Vincent
  3. 3. Blackbird
  4. 4. Old Friends
  5. 5. Time After Time
  6. 6. Once In A While
  7. 7. I Won't Let You Down
  8. 8. Let It Be Me
  9. 9. Nature Boy
  10. 10. You Belong To Me
  11. 11. Here Comes The Rain Again
  12. 12. Father And Son

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