laut.de-Kritik
Mit 60s-Pop und einem Schuss Tarantino geht die Sonne auf.
Review von Sven KabelitzGemma Ray kann einfach nicht still sitzen. In der Zeit, in der andere Acts durchschnittlich eineinhalb Alben veröffentlichen, kommt sie mit "Psychogeology" auf ihr achtes. Acht Longplayer in zehn Jahren, auf denen sie zwar über einen hohen Wiedererkennungswert verfügt, jedoch auch mit jedem neuen Release eine neue Schattierung ihrer selbst auskundschaftet.
War der Vorgänger "The Exodus Suite" noch mystisch, reduziert und insgesamt mehr der Nacht zugewandt, geht mit den "Psychogeology"-Arrangements die Sonne auf. Mit psychedelischem 1960er-Pop, überschwänglichen Chören, Country- und Folk-Elementen und einer kleinen Portion Tarantino- und Lynch gelingt ihr ein vielfältiges Werk.
Dabei beschreibt die in Berlin lebende Sängerin aus Essex diesen Schmetterling eines Longplayers als "eine Ode an die Majestät der Landschaft, an das Ausmaß der Natur und der Zeit, und an die unausweichliche Gewissheit, dass jedes menschliche Leben eines Tages einen winzigen Teil weiterer Landschaften bilden wird". Kein anderer Track verdeutlicht dies mehr als "In Colour", das Abschiedslied an ihre im Sterben liegende Großmutter. Ein Song, so friedlich und intim wie eine letzte Umarmung, in dessen Trauer ein großes Ja zum Leben steckt. "Giant valleys, deep ravines / I see your face in all of these things".
Der vom amerikanischen Soft-Rock der 1970er eingenommene Opener "Blossom Crawls" entstand ausgerechnet aus einer Panikattacke in einem Taxi und könnte dennoch davon nicht weiter entfernt sein. Der Sorge vor dem nächsten Anfall steht die hoffnungsvolle Grazie des Songwritings mit massivem Retro-Touch entgegen. "Blossom crawls back into its buds / ... / Put a stop to it's cruel tricks / Gonna get there first to soften the hit". Das laut Gemma Ray "im Geist von Ira Gershwin" geschriebene "It's Only Loneliness" besticht durch seine "Histoire De Melody Nelson"- aka "Moon Safari"-Atmosphäre, die nicht zuletzt durch den Basssound entsteht.
In "Flood Plains" trifft diese ihr Album mitbestimmende Tremolo-Gitarre auf Flöten und hinreißenden Chorgesang, die um ihre Stimme wirbeln wie sie selbst um das verträumte Walzer-Finale. In jedem Moment merkt man Gemma Ray die große Liebe zu Details im Arrangement und Komposition an, die sie aus der Liebe zum Beach Boys-Klassiker "Pet Sounds" zieht. "Ich liebe, wie diese Platte ... ach, jeder liebt diese Platte. Ich liebe diese nie zu deutlichen Klassikhinweise, die man dabei bekommt. Doch ich hatte eben nie das Geld, um richtig durchzudrehen. Ich mag es, wenn die gesamte Streichersektion eines großen Orchesters das Gleiche spielt, so etwas wollte ich, und dabei bleibt auch mehr Platz für den Mix."
Das abschließende Wiegenlied "Summer Comes" bringt "Psychogeology" sachte zu Bett und lässt uns auf die Wärme des baldigen Sommers hoffen. Gemma Ray indes hat all ihre Ängste, ihre gesundheitlichen Probleme und ihre Trauer in ein emotionales, verzauberndes Album gepackt, kann diese nun zur Seite legen und in einen neuen Abschnitt ihres Lebens starten. Eine Win-win-Situation für Künstlerin und Fans. "There are things that laid down heavy on me / But now I'm free."
1 Kommentar
"Psychogeologie"!? Was zum Kuckuck soll das bitte sein? Witzige Frau