laut.de-Kritik
Nischt schlescht für die Öhr.
Review von Gregory Britsch"Ich nime no en Campari Soda. Wiit unter mir liits Wulchemeer. Dä Ventilator summet liislig. Es isch, als gäbs mich nüme mee" krächzt der Vocoder, unterlegt mit einem langsamen Technobeat, drumherum kindlich verspielte Melodienbögen mit leicht traurig melancholischem Touch. Helvetische Poesie in einer Art neumodischem Gewand, die ans Herz geht. Zwanzig Jahre nach Erscheinen feiert "Campari Soda", ein Hit der Zürcher Band Taxi, seine Wiederauferstehung. Hervor gekramt und aufgepeppt von Golden Boy alias Stefan Altenburger.
Golden Boy hat großartige, mitreißende Musik im Gepäck und Miss Kittin an der Hand für einen Teil seiner Tracks. Sie singt - yu knöw Inglisch wiss a fränsch Äcksönnt - einen eigenwilligen Charme verströmend, in einer Mischung aus kühler Erotik, Monotonie und Langeweile zugleich. Nischt schlescht für die Öhr. Gerade wenn sie im Opener "je suis un pilote automatique" singt, wie Miss nächtens alleine über die Autobahn brettert, gibt dies die dabei vorhandene Stimmung passend wieder. Oder wie in "1234". Hier bittet Miss Kittin ihren fiktiven Vater auf eine kindlich naive Art und Weise "to go out and hunt tonight", als ob nichts dabei wäre. Sie liefert eben ihre kleinen Geschichtchen zum Sound des Golden Boy.
Dieser beweist ein wirklich glückliches Händchen bei der Produktion seiner Tracks, in dem er schmissige Klänge und popreife Melodien aus dem Synthie quetscht, die an uralte Videospiele, japanisches Plastikspielzeug oder abgewetzte Jahrmarktorgeln erinnern, mit einer ausreichend druckvollen Bassdrum zusammen baut. Oder wenn er das Hi-Hat zirpen lässt, hie und da eine Runde herum filtert, nachbearbeitet oder verfremdet und schließlich durch den Mixer haut.
Hier weist so manches auf die Soundästhetik vergangener Tage hin, als z.B. New Wave und Synthetikpop en vogue waren. Aber richtig retro ist "Or" auch wieder nicht. Das zu behaupten wäre zu billig. Vielmehr ist es Golden Boy gelungen, mit dem richtigen Maß an Einflüssen modernen, luftig locker verspielten Techsound mit Popeinschlag zu produzieren. Auf "Or" sind eigentlich auch nur Hits gleichermaßen zum Abhotten und Sofasurfen. Für die (möglichst) wunderbare Leichtigkeit des Seins oder so ähnlich. Wo is denn die Campari Buddel geblieben?
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