laut.de-Kritik
Dunkle Zeiten erfordern dunkle Töne.
Review von Benjamin TrollRetro-Rock aus Skandinavien, die dreihundertsechsundsiebzigste. Seit Jahrzehnten überschlagen sich Bands aus dem hohen Norden im Wettbewerb, wer am nächsten an den Sound der 60er Jahre kommt. Mal mehr, mal weniger überzeugend. Wenn aber die alten Heroen von Graveyard aus Göteborg eine neue Scheibe ankündigen, spitzt die Rock-Welt die Ohren. Zu eigen, zu original, zu gut ist das Quartett um Joakim Nilsson, um mit allen anderen Retro-Rockern in einen Topf geschmissen zu werden.
In ihren Anfängen noch eher auf der harten und rotzigen Seite des Rock-Spektrums unterwegs, setzte spätestens mit dem Comeback-Album "Peace" (2018) eine deutliche Verschiebung vom Hard- in Richtung des psychedelisch angehauchten Bluesrock ein. Diese setzt sich nun weiter fort: Graveyard klingen ruhiger und nachdenklicher als je zuvor. Dunkle Zeiten erfordern dunkle Töne.
Nilsson besitzt noch immer das überzeugendste Blues-Organ östlich des Atlantiks und stellt dieses auch gleich auf dem mysteriösen Opener "Godnatt" zur Schau. Langsam und geheimnisvoll wogt die Nummer vor sich hin, klingt eher nach einem Schaukelstuhl auf der Veranda einer schwedischen Hütte als nach verschwitztem Rockschuppen. Keinesfalls langweilig, einfach gediegen und reflektiert. Den Kontrapunkt setzt der Vierer mit "Twice", einem enthusiastischen Banger mit scharfem Riff und einer Hook voller Soul, die sich geschmeidig ins Ohr legt. Gitarrist Jonathan Ramm beweist, dass er sich locker ein Solo à la Jimmy Page aus dem Handgelenk schütteln kann.
Solche Ausbrüche bleiben auf "6" aber eher die Ausnahme. Allenfalls das aufsässige "I Follow You" und der klassische Rocker "Just A Drop" schlagen die Brücke zu den Hardrock-Wurzeln der Schweden. Zwischen den sofort bekannten Graveyard-Signature-Elementen sind Vorbilder wie The Doors oder Cream deutlich wahrzunehmen. Dem
Hörerlebnis schadet das keineswegs; die Kombination aus Psychedelic und Blues funktioniert erstklassig. Die Single "Bright Lights" vermittelt einem das Gefühl unendlicher Weite, ohne es an Intensität missen zu lassen. Mit feinem Gespür für Spannungsbögen bewegen sich Graveyard durch ihre Songs.
Klassische Blues-Balladen gehörten dabei schon immer zum Repertoire der Göteborger, mit Leidenschaft vorgetragen auf "No Way Out" oder dem
Schlussakkord "Rampant Fields". Jede Note sitzt, keine Verzierung ist unnötig, so bringt das Quartett ihren Longplayer gediegen zu Ende. Fans der ersten Stunde mögen auf Albumlänge die gepfefferten und biergetränkten Haareschüttler früherer Alben vermissen. Kaminfeuer und Wein statt Sturm und Drang: Graveyard ziehen ihre Weiterentwicklung durch und zwar keineswegs aufgesetzt oder gekünstelt, sondern mit der Sicherheit einer Band, die niemandem mehr etwas beweisen muss.
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