laut.de-Kritik
Judgement Day für die Tausendsassaeske.
Review von Max Brandl"Guilty 'til proven innocent!", tönt es in der Sing-Sang-Hook des Openers. Klar ist: Das wird eine schwierige Gerichtsverhandlung, denn die Beweislage ist hochkomplex. Die Angeklagten machen aus dieser Tatsache auch kein Geheimnis: "The Quilt" ist eine kunterbunte Steppdecke, kunstvoll zusammengeflickt aus Rap, Rock, Ska, Reggae und Synthie-Pop. Eben das macht eine zweifelsfreie Urteilsfindung so schwer: Schuldig aufgrund mangelnder Stil-Prägnanz? Freispruch, weil Genre-Konventionen überwindend?
Dass die Jungs um Rapper/Sänger Travis McCoy ihr Stilmix-Handwerk nach nunmehr elf Jahren einwandfrei beherrschen, steht allerdings fest. Das gesamte Album wirkt trotz seiner Patchwork-Ästhetik niemals überladen und konterkariert sich an keiner Stelle selbst. Man nimmt den Jungs jeden einzelnen Track ab, egal welcher Couleur.
Diese Glaubwürdigkeit erkauft man sich in der Summe allerdings zu einem horrenden Preis: "The Quilt" eint zu viele musikalische und stimmliche Aspekte unter einem Hut. Das geht nur, wenn sich alle so winzig wie möglich machen, weshalb das Album manchmal wie der kleinste gemeinsame Nenner mindestens drei verschiedener Bands klingt.
Dabei wäre für potente Abwechslung am Mikrofon eigentlich gesorgt: Estelle glänzt in "Guilty As Charged" auf einem Fundament aus Bläsern, Drums und Piano, ein Busta rhymed seine Zeilen souverän auf die Polit-Fußwippe "Peace Sign" und Daryl Hall gibt sich im Chorus von "Live Forever" die Ehre. Doch auch die Features wirken nicht wie eine Bereicherung für die Songs, sondern die Songs so, als wären sie für die Features geschrieben worden.
Einen Aufhorcher besitzt diese albumgewordene Gemengelage dann aber doch. Für "Cookie Jar" packen Cool & Dre den ganz, ganz großen Synthiesizer aus, The-Dream verpasst dem Teil in der Hook einen topaktuell-metrosexuellen Anstrich und Travis liefert dazu standesgemäße Boyband-Raps.
Man muss nur noch die Augen schließen, die Bilder laufen dann vollautomatisch ab. "I like girls, and they like me." Die Grenzen zwischen augenzwinkender Karikatur und berechnendem Hit-Kalkül verschwimmen hier perfekt. Oder mit anderen Worten: So schlecht, dass es wieder gut ist.
Die Verteidigung führt aber ebenso gültige Argumente ins Feld, wenn sie fordert, das Album unter dem Aspekt zu betrachten, zu dem es ungefragt taugt: einem 60 Minuten langem, heiteren Rundlauf durch eine abwechslungsreiche Sound-Topografie, die auf Berg und Tal verzichtet. Ein unangenehmer Muskelkater ist damit ausgeschlossen – bleibende Gipfel-Erinnerungen aber auch. Man kann die Gym Class Heroes also guten Gewissens freisprechen. Nicht mangels Beweisen, sondern mangels Tatbestand. "The Quilt" besitzt keinen zusätzlichen Blick über den Tellerrand, sondern ist ein ausschließlicher.
3 Kommentare
Schön geschrieben.
Hört sich die Redaktion die Alben auch mehr als einmal an? Weil ich denke gerade durch die vielen Features und den vielen verschiedenen Richtungen macht es das Album so hörbar. Das Gym Class Heroes in Deutschland allgemein nicht viele Fans finden ist ja ok, aber das Album ist echt gut geworden. Und ich glaube das Wort Boyband-Rap wurde extra für diese Rezension erfunden.
Ich bin gespannt was ihr zu dem Shwayze Album schreibt. Denn wenn das eine bessere Bewertung bekommt, dann ist klar was Sache ist.
ich find die rezi okay. sicher aber ist, dass dieses album mit der zeit zur granate wird und gerade der busta-track ein monster ist!