laut.de-Kritik

Mit punkigem Sound gegen die Zweifel.

Review von

Bassist weg, Label weg, Frontmann zieht nach Leipzig, dazu eine lasche Social-Media-Präsenz – das Gerücht, Heisskalt stünden vor der Auflösung, klang alles andere als abwegig. Doch dann veröffentlicht die zum Trio geschrumpfte Band ohne Vorankündigung oder PR-Kampagne über Nacht ihr komplett in Eigenregie entstandenes, drittes Album "Idylle". Mit punkigem Sound und unbeschwertem Songwriting pusten die Stuttgarter damit jegliche Zweifel weg; sowohl die der Fans als auch die eigenen.

"Vom Wissen und Wollen" war vielschichtig, war inspiriert und auskomponiert. Es war aber auch überladen, verkopft und lang. "Idylle" umfasst ganze 17 Minuten weniger Spielzeit als sein Vorgänger und ist auch allgemein einfacher und roher geraten. Keine Sound- und Effektwolken mehr, keine Synthies und Loops, kein Wechselbad aus ruhiger Melancholie und plötzlicher Härte. Stattdessen: Punk. Kurze Lieder, simple Akkordfolgen, Jam-Feeling.

"Ich wäre gerne frei in meinem Denken", singt Frontmann Matze im Opener "Bürgerliche Herkunft", und es klingt so, als würden Heisskalt nun unbeschwert ihre Ideen ausspielen, ohne verkrampft unkonventionell wirken zu müssen. Kein Problem, dass minutenlang nur Bass spielt, bis die erste Gitarre zu hören ist ("Fest", oder das gänzlich mit Bässen eingespielte "Idylle"). Kein Problem, den halben Song einen Akkord durchzuachteln ("Wiederhaben"). Ein Lied mit einer derart simplen Struktur wäre hochkant vom letzten Album geflogen. Aber das unverkrampfte straight-forward steht Heisskalt gut zu Gesicht.

Letztgenannter Song erinnert an den "Feel Good Hit Of The Summer" von Queens of the Stone Age, nur mit subtilerer Thematik: "Eure Likes, eure Shares, eure Herzen. Eure Heimat, eure lächerliche Sicherheit. Ihr könnt das alles Wiederhaben, nehmt es mit, ich benötige es nicht." Der Sommerhit für WM-Verweigerer! Aber auch an anderen Stellen musste ich an die Legenden um Josh Homme denken: "Tapas und Merlot" mit seiner dominant-melodiösen Bassspur im Intro, oder der düstere zweite Teil von "Fest", wenn sich kreischende Gitarren über die wuchtigen Akkorde legen. Fehlt eigentlich nur noch das Bottleneck-Solo.

Textlich geht es – die zitierten Auszüge lassen es erahnen – mehr um System- und Kulturkritik, um das große Ganze als um innere Gefühlswelten. Sänger Matze habe sich in dem im Vergleich zu Stuttgart rauen Leipzig weiter politisiert, ließ er in einem Interview verlauten. Wenn er im Opener von Möhren, Getreide essenden Tieren und Tiere essenden Menschen singt, dann passt das ziemlich gut zur herrlich düsteren Stimmung.

Atmosphärischen Postrock, wie man ihn vom letzten Album kennt, bietet dann "Du denkst ich lächle", und auch den poppigen Charme haben Heisskalt noch drauf: Auf dem "Tassenrand" spielen Indie-Gitarren miteinander, "Wie Sterne" wartet mit einem Eins-A-Pop-Refrain auf. Zum Abschluss packen die Schwaben dann noch die Akustikinstrumente aus und schicken die Hörer mit dem poetischen "Herbstlied" frühzeitig in den Oktober.

Ein trotz aller Reduktion abwechslungsreiches und interessantes, grundsolides Album!

Trackliste

  1. 1. Bürgerliche Herkunft
  2. 2. Wiederhaben
  3. 3. Tapas und Merlot
  4. 4. Idylle
  5. 5. Fest
  6. 6. Du denkst ich lächle
  7. 7. Tassenrand
  8. 8. Wie Sterne
  9. 9. Herbstlied

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3 Kommentare

  • Vor 6 Jahren

    Dazu fällt mir ein: was ist eigentlich aus 1000 Robota geworden?

  • Vor 6 Jahren

    Ganz kurz zum Anfang: Die Platte gefällt mir wirklich gut. Finde die Vorgänger ein kleines bisschen besser, aber die hier macht auch Spaß.
    Aber Punk? Nein, nein, nein, nein, bei der Einordnung sträubt sich mir bei dieser Platte alles. Ein bisschen angepunkt sind nur die ersten zwei Songs, im Rest sehe ich das höchstens in den Texten. Diese Platte ist musikalisch genauso viel Punk wie die auch immer da rein sortierten Libertines, also kaum. Ich sage das als jemand, dem Punk wirklich am Herzen liegt.

  • Vor 6 Jahren

    Die Platte lebt eindeutig davon, sie mehrmals zu hören. Ich war beim ersten Mal echt nicht überzeugt von der Soundveränderung im Gegensatz zu den beiden alten Alben, aber nach mehrmaligem Hören hat sich das Album für mich als unglaublich stark herausgestellt, trotzdem finde ich die beiden anderen Alben minimal stärker.
    Man merkt halt einfach, dass die Jungs inzwischen nur noch zu dritt sind und vor Allem live ist das echt schade, weil die Band gerade bei den alten Songs etwas dünn klingt. Ich hoffe mal, dass sie sich wenigstens einen Livebassisten zulegen, würde der ganzen Sache gar nicht schlecht tun.