laut.de-Kritik

Drei Punkte dank ewiger Liebe.

Review von

Die Sticks tanzen über Snare und High-Hat, Bass und Keyboard funken gedankenverloren vor sich hin, bis die Leadgitarre in Mark und Bein schneidet. Eine Minute und 40 Sekunden zelebriert Helmet-Mastermind Page Hamilton auf dem Schlusstrack "Resolution" seine Jazz-Wurzeln aus den Uni-Zeiten der 80er. Bezeichnenderweise strömt in dieser kurzen Zeit mehr frischer Wind durch das neunte Album der Noise Rock-Post-Core-Legenden, als im Großteil der restlichen Standard-Songs mit dem bekannten Trademark-Sound.

Wer kennt und liebt nicht die besonderen Drop D-Powerchords von Hamilton, die er auch nach 30 Jahren immer noch locker aus dem Handgelenk schüttelt. Dank "Meantime" und "Betty" setzten sich Helmet mit Quicksand, Prong oder Rollins Band Anfang der 90er an die Speerspitze der Bewegung, die Hardcore-Wut mit Metal-Sounds und Groove-Fokus verband. Zwar folgten danach unzählige Platten, doch weder knüpften Helmet - in ständig wechselnder Besetzung - an die früheren Erfolge an, noch transformierten Paige und Co ihren Style ins neue Jahrtausend. "Left" macht hier leider keine Ausnahme.

Die Gitarre steht im Mittelpunkt und liefert die gewohnten Nackenbrecher-Riffs und Soli ab, doch bereits Bass und Schlagzeug humpeln hölzern hinterher wie alte Piratenkapitäne. Wo man sich ein straightes Beat-Monster wie "In The Meantime" wünscht, verfangen sich Helmet in uninspirierten Breaks. Darüber kämpft der sechzigjährige Paige mit seiner Stimme einen aussichtslosen Kampf gegen diesen instrumentalen Demo-Mix, als er krampfartig versucht, zornig zu klingen. "We got guns and no solutions / Murder building institutions" schreit er auf "Gun Fluf" hinaus. Für Lyrics wie "Trans landing / Who cares if I'm a girl or boy? / Or both / Empathetic / Just live and let live / You're the one who's pathetic / Stop telling me what's right or wrong" möchte man den alten Mann knuddeln. Sein Sendungsbewusstsein und seine Leidenschaft sprühen aus jeder Zeile. Sie jedoch auch am Mic umzusetzen, scheitert. Zu dünn sind die Stimmbänder mittlerweile - und das schlimmste aller Gefühle, Mitleid, stellt sich schneller ein als bei den Aufstiegsversuchen des HSV.

Einzig der Opener "Holiday" funktioniert im alten Kontext. Wie sagte Paige einst? Das Vorbild für Helmet seien einfache Lieder mit starken Grooves wie Aerosmith in den 70ern. Der wütende Stakkato-Part mündet in einem grundigen Refrain, um dann ab Minute Zwei kurz abzumoshen und noisig auszufaden. Viel spannender sind dagegen die Stücke, die einem anderen Ansatz folgen. "Powder Puff" lässt im Hook die Sonne strahlen wie Quicksand, während auf "Tell Me Again" Akustik- und Geigen dominieren und ironischerweise gerade an jene Band erinnern, mit der Helmet in den erfolgreichen Anfangstagen fälschlicherweise immer verglichen wurden.

Fazit zur Punktevergabe: Vier Tracks sind potentielle Replay-Kandidaten, sechs Lieder kommen und gehen so schnell wie beim Tinder-Swipen. Drei Punkte dank ewiger Liebe.

Trackliste

  1. 1. Holiday
  2. 2. Gun Fluf
  3. 3. NYC Tough Guy
  4. 4. Make-Up
  5. 5. Big Shot
  6. 6. Bombastic
  7. 7. Reprise
  8. 8. Dislocated
  9. 9. Tell Me Again
  10. 10. Powder Puff
  11. 11. Resolution

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2 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Page sah echt ungesund aus vorgestern im Zoom. Der ausgemergelte Körper leider repräsentativ für die auch im Live-Mix an zu vielen Stellen völlig untergehende, dünn gewordene Stimme. War zumindest für mich auch Premiere zu sehen, dass er einen weiteren Gitarristen dabei hat und sich selbst tatsächlich auffallend häufig auf seine Gesangsparts und Gitarrensoli beschränkt hat. Immerhin sind sie offensichtlich vorher die alten Studioalben zusammen durchgegangen und haben die rhythmischen Call & Response-Gitarrenparts entsprechend der Vorlage arrangiert, was dem Set auf eine völlig neue Ebene in Sachen Dynamik Differenziertheit der Gitarrenarbeit verhalf. An Selbstironie mangelte es Page indes nich: Auch sein Bewusstsein dafür, dass Leute an dem Abend wohl überwiegend wegen seiner älteren Glanztaten anreisten, wurde nicht nur in musikalischer Weise offenbart. Dampf, Druck und mitreißende Energie der Show kamen dabei schon überwiegend von den drei deutlich jüngeren und agiler auf der Bühne agierenden Mitstreitern. Neben den häufig zu leisen Gesangs- und Shoutparts fiel mir auf, dass es die wirklich erste Liveshow meines Lebens war, bei der ich dachte: "Hm, irgendwie könnte der Bass gerade mal ein bissl leiser sein!", bei Parts wie z.B. dem Abgang von "milquetoast" war trotz zwei dicker Gitarrenamp-Wände um ihn herum über die Anlage nichts außer ein wenig Kickdrum und Snare im Hintergrund zu hören. Trug mit seiner abartig knarzenden Distortion in Verbindung mit dem generell anachronistisch anmutenden Soundbild, immer kurz vorm Übersteuern oder eben dies mutwillig herbeigeführt, aber andererseits sehr zu der Oldschool Underground-Atmosphäre bei, die der gesamte Gig ausstrahlte.

    Zugegeben hätte ich aber wohl ohne das aktuelle Albung das exakt selbe hohe Maß Spaß dort gehabt, was ich tatsächlich auch hatte. Bleibt nur so ein bisschen die Befürchtung, dass es vielleicht schon eines der letzten Male war, zu denen sich der inzwischen 63jährige Page den Strapazen einer internationalen Tour aussetzen konnte, so, wie er momentan körperlich wirkt.

    • Vor 11 Monaten

      Bei mir war es umgekehrt. Mein erstes Helmet Kontert war 1993 und ich war positiv überrascht, wie gut die Musik auch 2023 noch funktioniert. Im Wesentlichen hast Du zwar recht, aber im Gebäude 9 war die Stimmung wirklich super. Ich war ein paar Tage davor bei Sleaford Mods (die sind in den 50ern). Das war auch gut, aber viel weniger Interaktion mit dem Publikum und keine Zugabe. Da hat Helmet/Page Hamilton doch noch einiges rausgerissen, was in anderen Belangen mittlerweile tatsächlich etwas fehlt.

    • Vor 11 Monaten

      Oh, nicht falsch verstehen, bitte:

      Liebenswerte Interaktionen mit dem Publikum, bissl Schnack auf deutsch, viel Lob für das (in der Tat) echt vorzeigbare Venue, verschmitzt lächelnd geklopfte Sprüche al a (sers, speedi) "die alten Sachen fand ich ja ganz gut, die neuen nicht, #izkla!", ein brodelnd heißer Zugabentraum direkt vom Oldschool Boulevard und danach dem einzigen ca. 8jährigen, der den kompletten Gig über in der ersten Reihe stand, und dessen nur unwesentlich älteren Bruder paar Picks direkt in die Hand drücken...

      ...Page und auch die anderen drei hätten auf zwischenmenschlicher und Entertainment-Ebene wirklich kaum mehr Sympathien einfangen können. Der helmet-Vordenker wirkte davon authentisch gerührt und mental mit Herz und Leidenschaft dabei - aber eben, als müsse er einen (krankheitsgeplagten?) ausgemergelten Körper unter größter Anstrengung dazu zwingen.

      An seiner Bereitschaft hierzu konnnten indes keine Sekunde lang irgendwelche Zweifel aufkommen.

    • Vor 11 Monaten

      Ach ja, und ich hatte helmet auch schon paar mal gesehen... In den 90ern wohl nur auf Festivals, da kann ich mich aber nicht mehr wirklich gut dran erinnern... Zuletzt jedenfalls auf der "30 years..."-Tour vor 4 Jahren und da wirkte Page noch extrem frisch und kraftvoll auf der Bühne mit dem Anspruch, neben den Vocals auch die gesamte Gitarrenarbeit alleine zu stemmen.

      Die Aufteilung und die z.T. neuen bzw. albengetreuen Arrangements auf zwei Gitarren find ich im allgemeinen (und fand ich im speziellen letzte Woche live) allerdings wesentlich gelungener und effektiver für diese Art Musik.

    • Vor 11 Monaten

      Ich habe Dich gar nicht falsch verstanden, meine ich, Ich stimme Dir ja zu. Ich wollte dennoch noch etwas Deinem Kommentar hinzufügen. "Look alive" ist tatsächlich vielleicht nicht ganz von ungefähr ein Titel, des vorherigen Albums gewesen. Ich hatte aber meine Freude, darum ging es mir.

    • Vor 11 Monaten

      „War zumindest für mich auch Premiere zu sehen, dass er einen weiteren Gitarristen dabei hat und sich selbst tatsächlich auffallend häufig auf seine Gesangsparts und Gitarrensoli beschränkt hat.“

      Da muss ich einmal nachhaken. Das klingt so als wäre eine fünfte Person mit auf der Bühne. Aber sie spielen doch immer noch zu viert, so wie eh und je? Vielleicht hast du ja recht damit, dass er weniger Gitarre selber spielt als früher. Das kann ich nicht beurteilen. Aber von einem weiteren Gitarristen ist mir nichts bekannt.

    • Vor 11 Monaten

      Nee, die spiel(t)en mW seit der "Aftertaste" üblicherweise zu dritt und um 1997 herum hab ich sie auch erstmals live auf nem Festival gesehen, schon als Dreier (weil paar Jahre zu jung und behütet, um sie bis ca. 1994 noch als Vierer in Deutschland erleben zu können).

      Page hat zumindest auf "Aftertaste" und wahrscheinlich auch den meisten Folgealben (bis auf die neueste?) alle Gitarrenspuren selbst eingespielt und trug diesen Anspruch in der Folge auf die Bühne - das war auch vor 4 Jahren auf besagter "30 years..."-Tour noch so und ich hab sie entsprechend dieses Mal zum ersten Mal live zu viert erlebt. Da halt ihre viel geliebten Classics überwiegend mit zwei Gitarristen konzipiert und eingespielt wurden war das in der Vergangenheit live leider echt an vielen Stellen ziemlich dünne vong Gitarrensound her.

    • Vor 11 Monaten

      Ah ok, also war es für dich persönlich das erste Mal dass du sie zu viert gesehen hast. Ich hab nicht gewusst, dass Helmet auch mal zu dritt live gespielt haben. Ich habe dich da falsch verstanden und dachte du meinst, dass Helmet neuerdings einen Gitarristen mehr als sonst hätten. Helmet haben eigentlich die meiste Zeit zu viert gespielt. Ich weiß, dass Page Hamilton auf der Aftertaste die Gitarren alleine aufgenommen hat. Aber sie hatten doch Chris Traynor schon als neuen Touring Gitarristen angeheuert (er steht im Booklet der Aftertaste als „Live Guitar“). Deswegen wundert mich, dass sie 97 auch Auftritte zu dritt gespielt haben. Ich habe sie auf der Size Matters Tour gesehen und da waren sie zum Beispiel auch zu viert.
      Also auf den Alben Aftertaste, Size Matters und Monochrome hat Page Hamilton glaube ich die Gitarren alleine eingespielt. Auf den letzten drei Alben hatte er glaube ich schon den jetzigen zweiten Gitarristen. Aber normalerweise war bei den Live Konzerten meistens ein zweiter Gitarrist dabei, unabhängig davon ob Page Hamilton die Gitarren auf den Alben komplett alleine übernommen hat oder nicht.

    • Vor 11 Monaten

      Vielleicht hatte ich einfach nur Pech, die letzten Male ausgerechnet Touren oder einzelne Auftritte erwischt zu haben, bei denen der geplante/gesetze Rhythmus-Gitarrist ausfiel...

      ...jedenfalls vor 10 Tagen erstmals zu viert erlebt und es klang endlich so, wie es gemessen am Geschehen auf den Alben live auch klingen sollte. :)

    • Vor 11 Monaten

      Ich habe mir Aufnahmen der Aftertaste Tour und der 30th Anniversary Tour angesehen und immer waren 4 Leute auf der Bühne. Ich vermute, dass Helmet noch nie planmäßig Konzerte zu dritt gespielt haben. Höchstens wenn der Gitarrist mal ausfiel wie du sagtest. Wobei mich wundert wie Page Hamilton die Songs alleine performt hat. So gut wie alle Helmet Songs sind für zwei Gitarren ausgelegt.

    • Vor 11 Monaten

      Hab jetzt extra nochmal bei meiner 2019er Begleitung nachgefragt - die sagt drei. :/

      Für meine Erinnerungen aus den 90ern dahingehend würde ich allerdings - wie bereits erwähnt - heute keine Hand.mehr ins Feuer legen... :D

    • Vor 11 Monaten

      1993 im PC69 (Bielefeld) waren es auch vier, meine ich. Egal, vier Getränke für euch beide auf mich, falls ihr mal in Köln seid.

  • Vor 11 Monaten

    Dieser Kommentar wurde vor 11 Monaten durch den Autor entfernt.

    • Vor 11 Monaten

      Ich habe jetzt extra nochmal den Kumpel angefragt, mit dem ich vor.4 Jahren da war... Der ist auch überzeugt, dass sie nur zu dritt waren. Für meine Erinnerungen aus den 90ern würde ich aber wie gesagt heute auch nicht mehr bedingungslos meine Hand ins Feuer legen...