laut.de-Kritik
Mit der Sogwirkung eines schwarzen Lochs.
Review von Henrike Möller"Lover, where do you live?", fragt eine niedergeschlagene Frauenstimme. "In the clouds, in the sky, in the ocean?" Zarte Klavierläufe geben ihrem Flehen musikalischen Ausdruck. Kurz darauf stoßen sphärische Synthies hinzu und befördern die Szene in einen Ort zwischen Himmel und Erde, Zukunft und Gegenwart, Realität und Imagination.
Diese Koordinaten des Weder-hier-noch-dort markieren den Austragungsort für die kommenden zehn Songs auf "Silent Treatment". Selbst die erdigeren, folkigeren Stücke wie "Leavig No Traces" und "Since Last Wednesday" verströmen etwas Übersinnliches, eine dunkel glänzende Anziehungskraft, die den aufmerksamen Zuhörer verschlingt wie ein schwarzes Loch.
Highasakites hypnotische Wirkung lässt sich zu großen Teilen auf ihre texturreichen Kompositionen zurückführen, die mit zahlreichen Überlagerungen und endlos nachhallenden Synthies arbeiten. Das Resultat dieses ans Jazz-Genre erinnernden Schreibansatzes ist ein komplexer Indie-Pop-Sound, der seine Schönheit erst nach mehrmaligem Hören offenbart – so vielschichtig ist er.
Die größte Ausstrahlung besitzt aber zweifelsfrei die Stimme der Sängerin Ingrid Helene Håvik. Nicht nur ihre Range ist bemerkenswert, auch ihre Palette emotionalen Ausdrucks gestaltet sich ausgesprochen facettenreich.
Während sie in der lieblichen Akustik-Nummer "My Only Crime" reif und welterfahren klingt, gibt sie sich im ausufernden, effektvollen "Iran" tough und nüchtern. In "Science & Blood Tests" wiederum wirkt sie zerbrechlich und zart. Besonders viel Gefühl transportieren dabei interessanterweise die hohen, textlosen Koloraturen, die bisweilen an Jodler erinnern.
Aber nicht nur Håvik Gesangsweise ist äußerst individuell. Auch ihre Texte unterscheiden sich trotz des im Prinzip poppigen Sounds meilenweit von den Lyrics ihrer Kollegen. Statt kohärente Verse zu liefern, reiht sie Aufsehen erregende Phrasen aneinander, die im Kontext betrachtet, wenig Sinn ergeben.
"I am a philistine, it's the biggest sin, it's a phetamine, and I'm on a role. And through my villain – I see you and I, I see Paraguay, and I've got to know. Am I the real Darth Vader? I'll see dragons, too." Was Håvik im Track "Darth Vader" zusammen reiht, lässt den Rezipienten zunächst irritiert zurück. Eine Identifikationsfläche sucht man vergeblich.
Ähnlich ratlos machen einen die Lyrics im Song "I, The Hand Granade", dessen Titel einen ja schon leicht verstört: "The real terrorist is me, my love. […] My name is suburbian homes. My name is above you."
Man muss Håviks Texte sicher ein Dutzend Mal intensiv studieren, bis man ihre Sprache versteht. Denn die Sängerin kommuniziert nicht mit Worthülsen, sondern mit Metaphern und assoziationsreichen Begriffen, die bei jedem eine ganz eigene Flut von Bildern und Erinnerungen auslösen dürften. Genau diese Qualität macht Highasakite so wertvoll, denn sie schützt vor Abnutzung. Bei jedem Durchlauf erzählt die Band eine andere Geschichte, je nachdem in welcher Stimmungslage man sich als Hörer momentan befindet.
Mit "Silent Treatment" legen die Norweger folglich ein eindrucksvolles Debüt vor, das entrückte Momente und groß angelegte Pop-Gesten auf harmonische Weise vereint. Beachtlich ist auch die Stimmungsvielfalt, die zwischen Euphorie und nachdenklichem Schwelgen changiert und vor allem eines ist: glaubwürdig.
5 Kommentare mit einer Antwort
das lied im video klingt sehr nach sigur ros auf með suð í eyrum við spilum endalaust. also ziemlich, ziemlich gut!
gefällt.
Unterhält mich erstaunlich gut heute abend, war überhaupt nicht auf meinem Schirm; folkiger Indiepop ist ja mein liebstes guilty pleasure.
http://www.arte.tv/arte_vp/index.php?json_…
danke für den link. die sind ja live absolut fantastisch.
album über alle zweifel erhaben.
8/10
tinco, versuch mal, nach dem vierten durchgang des albums den ersten track zu hören, ohne dabei eine gänsehaut zu bekommen.
Wieso sollte ich? Ich habe diese Gänsehaut gerne.