laut.de-Kritik
Der Anti-Wendler spielt erneut mit der Möglichkeit des Abschieds.
Review von Dominik LippeGefühlt zieht er sich alle paar Jahre aus dem Scheinwerferlicht zurück. "Ich höre seit 20 Jahren, wie oft ich aufgehört habe. Es war nur einmal", stellte Howard Carpendale unlängst im Kölner Treff klar, "Und es wird auch nie wieder sein." 2017 veröffentlichte er mit "Wenn Nicht Wir." letztmals neue Stücke. Anschließend arbeitete er über sechs Jahre und drei Alben altes Material mit dem Royal Philharmonic Orchestra auf. Trotz aller Beteuerungen umweht "Let's Do It Again" mehr als nur ein Hauch von Abschied: "Mit diesem letzten Album habe ich alles gesagt, was ich wirklich sagen wollte."
Die Musikszene habe sich drastisch verändert, kommentierte er zuletzt wiederholt. Ungewohnt explizit kreidete er Michael Wendler in der Augsburger Allgemeinen an, für den seit Jahren im Schlager dominierenden "Four-on-the-Floor-Wahnsinn" verantwortlich zu sein. Howard Carpendale hebt sich wohltuend von dieser überspannten Szene ab, die abseits ihrer Heile-Welt-Inszenierung schon bei oberflächlicher Betrachtung irritierend ruchlos erscheint. Wie ein nachsichtiger, mit ruhiger Hand führender Patriarch wirkt der Südafrikaner in den öffentlich-rechtlichen Formaten des Irrsinns.
Geschickt wickelt Carpendale seine Anhängerschaft in "Let's Do It Again" um den Finger. Ein nostalgischer Trip, der sich zugleich vehement weigert, dem "Ti amo" kreischenden Publikum nachzugeben. "Die Welt steht uns weit offen. Glaub' mir, das Beste wird noch kommen", appellierte er daran, den Blick der Zukunft zuzuwenden. So hält er die Balance zwischen Fanservice und eigenem Hunger. Das gelingt ihm noch besser im balladesken Song "Nacht Über…", der neben vergangenen Errungenschaften und dem verheißungsvollen Morgen von der Zweisamkeit in der Einsamkeit der Nacht erzählt.
Vereinzelt tritt Carpendale unerwartet politisch auf. "Was Wird Nach Uns Sein" besingt apokalyptisch das "Ende auf Erden". Traurige Kinderaugen blicken flehentlich aus der Klischeekiste und im selbstbesoffenen Pathos ruft sich der Sänger aus ihrer Perspektive selbst zu: "Bitte rette diese Welt!" Das zwei Wochen nach Beginn der russischen Invasion entstandene "Weiße Taube" wiederum flüchtet sich vor allem ins Private. Nur punktuell gibt er zweifellos gut gemeinte Weisheiten von sich, die aber eher nach naiver Friedensdemonstration klingen, die sich um politische Zusammenhänge wenig schert.
Generell gilt, dass auf jeden lobenswerten Song mindestens eine Peinlichkeit kommt. "Wovon Träumst Du" etwa lässt den Blick Richtung Kalender schweifen. Ja, doch, es ist 2023. Noch unangenehmer fallen die anbiedernden Single-Auskopplungen aus. Beim Nerv-Schlager "Du Bist Das Letzte…" beginnt das Problem beim Jux-Refrain. "Du bist das Letzte, das Allerletzte, was ich je verlieren will", singt er mit saurongroßem Augenzwinkern. Die etwas hilflose Daba-Daba-Dapp-Dada-Bridge und die pathetische Steigerung, die den Schabernack feierlich überzulackieren versucht, erledigen den Rest.
"Warum Tanzt Du So Allein" erinnert in seiner paternalistischen Herangehensweise an Roland Kaisers "Sag Mir Wann". "Du hättest Chancen bei jedem", haucht Carpendale dem Leckerbissen entgegen, der da "so allein" vor sich hin tanzt. "Das kann doch nicht richtig sein", entrüstet er sich onkelhaft, "Will denn niemand bei dir sein? Das tut in der Seele weh." Zur Not opfert sich der Schlagerbarde halt selbst. Der sensible, differenzierte Storyteller "Verliebt, Verlacht, Vereint" fungiert wiederum als Wiedergutmachung für die Single, mit der er Silbereisens "Schlagerboom"-Publikum in Ekstase versetzte.
Ab Mai 2024 wird er seinen Getreuen auf den Bühnen des deutschsprachigen Raums leibhaftig gegenübertreten. "In dieser Tournee gebe ich von mir noch einmal alles rein. Wer weiß, ob meine Fans das in dieser Form noch einmal erleben dürfen?", spielte er in der Bild geschäftstüchtig mit der Möglichkeit des Abschieds. Also folgt auf sein "definitiv letztes Album" die ebenso abschließende Tournee? "Ich wollte mit etwas Gutem aufhören", erklärte er in Brisant. Das bedeute aber noch "lange nicht, dass ich nicht weiter singe" - sowohl auf der Bühne als auch auf Tonträgern. Also: Fortsetzung folgt.
2 Kommentare
Howard Carpendale und Roland Kaiser sind die einzigen Schlagersänger, bei denen ich die Vorstellung, dass ich zu deren Konzert gehen müsste, gar nicht schlimm finde. Die sind irgendwie unfuckbar. Also zumindest für mich in genau diesem Moment.
Der Howie ist Springboks Ultra und hat damit auf ewig bei mir einen Stein im Brett .